Wie kann man sich als seriöser Verlag eigentlich Kiwi nennen, fragt mich meine Freundin. Klingt wie ein Schulbuchverlag. Lesenlernen für Erstklässler mit Kiwi. Stimmt, ist mir noch nie so aufgefallen, aber sie hat recht. Kiepenheuer und Witsch ist das nicht so was wie Rowohlt oder Fischer? Stell dir vor, du musst ein Buch bei „Kiwi“ rausbringen. Letztendlich nimmt man ja doch den mit dem höchsten Angebot. Allerdings will ich erst Hardcover und dann die Taschenbuchausgabe. Nicht gleich Taschenbuch. So viel Vertrauen muss sein. Ich will auch nicht mit Bild aufs Cover und auch nicht mit Bild auf den Schutzumschlag. Aber Schutzumschlag muss sein. Und eine Buchvorstellung in der Berghain Kantine und danach ein Tisch für 20 im Grill Royal. So wie letzte Woche. Da war ich nämlich auf einer Buchvorstellung. Ich traue mich jetzt nicht zu sagen von welchem Buch und ich traue mich auch nicht zu sagen, warum ich mich das nicht traue. Stimmt zwar nicht, klingt aber gut. Klingt vielleicht auch nicht gut, aber ich bin sowieso fertig mit der witzigen Kurzform. Bin kurzformsatt, bringt ja doch nichts, immer diese Scherze, habe doch meine Meinung schon zu allem gesagt. Prenzlauer Berg, Ordnung im Haushalt, Briefkasteninhalte, Erotik, Umgang mit Mitmenschen, launige Erlebnisse beim Einkaufen, Bekleidungsproblematiken, Witziges über meinen Mann und meine Kinder und über mich. Ich muss aufhören, bevor es zu spät ist, bevor der Selbsthass ins Unermessliche wächst. Ich mag mich nicht mehr hören, bin meiner überdrüssig, wie ein Pärchen nach den ersten drei Monaten. Will mich nicht mehr anrufen und auf meine Nachrichten nicht mehr antworten. Wenn mir langweilig ist, stalke ich mich selber. Lese meine SMS, meinen Browserverlauf und die Rechnungen auf dem Schreibtisch. Durchwühle meine Jackentaschen und dann weine ich ein bißchen. Erzähle meinen Freundinnen fiese Dinge über mich und schließlich will ich Schluss mit mir machen. Es wird Zeit für etwas Neues, ich weiß aber noch wofür. Also halte ich noch ein bisschen durch, denn ich habe Angst vor der Einsamkeit. Manchmal fühle ich mich so abgegessen, ausgelaugt, geschlaucht wie ein trauriger Clown und will einfach nur noch was denn? Ich weiß es nicht und deswegen mache ich weiter. Bin künstlerisch am Ende, aber ich brauche das Geld. Bei der Buchvorstellung letzten Donnerstag kochten die Gefühle hoch. Es ging um die Unterscheidung zwischen lyrischem Ich und der echten Meinung des Schriftstellers. Der Schriftsteller schwieg, denn was er zu sagen hatte, stand ja schon in seinem Buch. Aber das war ja das Problem: Stand es wirklich in dem Buch, was er zu sagen hatte? Hatte er das wirklich alles so gemeint? Denn wenn ja, dann müsste dieses Buch „Alles Lüge“ von Joachim Lottmann wohl sofort verboten und eingestampft werden. Ich musste im Grill Royal erstmal einen vierfachen Wodka trinken, um mich von der spannungsgeladenen Diskussion zu erholen. Ich hasse Missstimmungen, ich will, dass alle sich wohlfühlen. Ich war so traurig, denn: Auch der Literaturbetrieb ist unfassbar dämlich, genau wie die Kunstszene und die Theaterszene und die Filmszene. Bestimmt ist es in der Musikszene viel besser, aber ich kann kein Instrument. Vielleicht sollte ich Mathematik oder Medizin oder Islamwissenschaft studieren, denn in der Wissenschaftlerszene geht es bestimmt super angenehm menschlich zu. Im Grill Royal bekam der Schriftsteller von einem anderen noch berühmteren Schriftsteller einen Kirschblütenzweig aus Plastik überreicht. Als Geschenk sozusagen. Stimmt! Bei Premieren muss man ja Geschenke schenken! Warum war ich da nicht draufgekommen. Geschenke sind immer gut, Blumen! Blumen sagen mehr als 1000 Worte. Was aber sagt einem ein Kirschblütenzweig aus Plastik? Ist das überhaupt eine Blume? Was ist damit kodiert? Der Schriftsteller freute sich, war aber auch irritiert, zumal der andere Schriftsteller gar nicht weiter mit ihm sprechen wollte, ihm nur diesen Zweig überreichte und dann davonhüpfte. Ich war so froh, dass ich diesen Zweig nicht bekommen hatte und diese Geste nicht entschlüsseln musste. Der Schriftsteller entschied sich dafür, sich einfach zu freuen und die subtile Beleidigung nicht zu verstehen. Denn es war ja auch keine Beleidigung, sondern einfach nur eine sehr ungelenke Liebeserklärung von Mann zu Mann. Aber es gibt tatsächlich einfach keine bürgerliche Kultur in Deutschland mehr. Wegen Hitler. Und danach der DDR. Keiner weiß mehr, wie er sich zu benehmen hat. Bier wird grundsätzlich aus der Flasche getrunken. Nicht einmal erfolgreiche Dichter wissen, wie sie miteinander umgehen sollen. Keiner weiß mit niemand umzugehen. Man reicht sich die Hand und stellt sich einander vor und fühlt sich extrem unwohl dabei. In Frankreich finden immer alle sofort eine Ebene miteinander. In Deutschland kumpelt man sich entweder an, oder hasst sich. Gute Manieren wirken arrogant und verdächtig. Es ist so traurig. Alles ist so traurig. Nichts hilft. Außer eine schöne leckere Kiwi mit viel Vitamin C.
Schichtarbeit im Literaturbetrieb
Wie kann man sich als seriöser Verlag eigentlich Kiwi nennen, fragt mich meine Freundin. Klingt wie ein Schulbuchverlag. Lesenlernen für Erstklässler mit Kiwi. Stimmt, ist mir noch nie so aufgefallen, aber sie hat recht. Kiepenheuer und Witsch ist das nicht so was wie Rowohlt oder Fischer? Stell dir vor, du musst ein Buch bei „Kiwi“ […]