Habe auf Joyn mal wieder Jerks geguckt und gedacht, bin ich froh, dass ich keinen Freund habe und kein Pärchen bin, denn dann ist das Leben so wie in “Jerks”. Und dann fiel mir ein, dass ich damals nicht glauben konnte, dass Collien Fernandez und Christian Ulmen wirklich ein Paar sind, also vor Jerks konnte ich das nicht glauben, aber nach Jerks fand ich die ein gutes Paar.
Aber jetzt sind sie leider keins mehr, habe ich gelesen. Aber Christian Ulmen lebt schon lange auf Mallorca, habe ich gelesen.
Das wusste ich nicht. Aber natürlich lebt der nicht mehr in Deutschland – alle guten Leute sind aus Deutschland ausgewandert und auch alle Erfolgreichen und ich frage mich, ob wir nicht auch auswandern sollten? Und zwar jetzt schon, bevor ich erfolgreich bin, oder gut?
Aber wohin? Eine zeitlang dachte ich Frankreich könnte eine Option sein, aber da bricht ja gerade alles zusammen und es fühlt sich nicht mehr so stabil an und auch nicht mehr so viel besser als Deutschland.
Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, England, Irland kommen auch nicht mehr in Frage. Da ist auch alles am zerbrechen und brodeln und sogar noch schlimmer als hier.
Bleibt eigentlich nur noch die Schweiz. Vielleicht sollten wir in die Schweiz auswandern. Aber nur, weil ich mich in Sachen Schweizer Politik nicht auskenne, aber, ja, vielleicht sollten wir schnell versuchen, in der Schweiz unterzukommen.
Vielleicht wäre es besser, jetzt schon wegzugehen, bevor es zu spät ist.
Früher hat man ja noch in die USA gewollt, vielleicht sogar nach Israel, sogar Russland stand mal auf der Liste, überall konnte ich mich sehen, überall konnte man irgendwie leben, in den 90ern, so wie man in den 60ern ja auch noch mit dem VW nach Afghanistan fahren konnte, zum Beispiel.
Aber jetzt traut man sich ja nicht mal mehr hinzufahren, in eines dieser Länder, viel zu gefährlich, viel zu kaputt. Da kann ich ja gleich hier bleiben.
Mit den Ländern ist es gerade wie mit den Parteien. Man weiß ja auch nicht mehr, was man wählen soll. Die SPD ist inzwischen teils genau so wie die Linke, teils genau so wie die CDU.
Die Linke hat inzwischen hauptberuflich was gegen Juden, die Rechte hat hauptberuflich was gegen Ausländer, Linke und wenn sie ab und zu ehrlich sind, eigentlich auch Juden (Tradition!). Die sogenannte “Mitte” natürlich auch und außerdem wollen sie noch Autobahnen bauen und Arbeitszeiten erhöhen und Sozialhilfe streichen und Sozialarbeit und Umweltschutz und Theater, Bibliotheken und den gesamten Kulturbetrieb schließen.
Der ist tatsächlich obsolet inzwischen- außer offenen Briefen bringt der nichts mehr zustande.
(Das waren noch Zeiten, als man sich über Petzold und Dresen erregt hat, man war fassungslos wegen mediokren Filmschaffens, jetzt ist die einzige Emotion, dass man weniger überrascht ist, als gedacht, wer da jetzt alles schon wieder wo unterschrieben hat.)
Von den Grünen hört man gar nichts mehr, nachdem sie Deutschlands Industrien mittels Windrad und Wärmepumpe von einer stabilen Stromversorgung abgeschnitten haben. Warum auch, die Grünen sind am Ziel und können sich eigentlich auflösen- mehr Umweltschutz geht nicht.
Beim Spazierengehen sind wir neulich früh Mollstraße, Ecke Otto- Braun Straße aus der Straßenbahn gestiegen, weil wir Richtung Prenzlauer Berg wollten.
Und als wir an der Ampel standen, fuhr die Bahn weiter und wir sahen zu, wie sie rechts in die Mollstraße einbog, auf die lange Gerade Richtung Osten gen Sonnenaufgang.
“Ab jetzt ist der Job entspannt für den Fahrer, ab jetzt fährt die Bahn auf ihrer eigenen Trasse, bis zur Endhaltestelle, muss sie sich den Straßenraum nicht mehr mit Autos und Fußgängern teilen. Also, wenn ich Straßenbahnfahrerin sein müsste, dann nur auf dieser Strecke, immer nur nach Marzahn und zurück.”
“Ahhhh Marzaaahn. In Marzahn ist die Welt noch in Ordnung.” antwortete mein Begleitung.
Wir wussten beide, dass das nicht stimmt, aber von hier aus, und wohl nur wegen des Anblicks der Straßenbahn beim Einbiegen in die gepflegte, lange gerade Trasse in Richtung einer unbekannten Welt, einer unermesslichen Ansammlung weißer Plattenbauten, errichtet zu einer Zeit, als man noch an eine Zukunft glaubte und daher an einer Zukunft baute.
So erschien uns Marzahn in diesem Augenblick. Als ein Ort, wo man noch hin kann. Ein erreichbarer Ort. Eine freie, sauber glänzende Ferne unter blitzblauem Himmel.
Wie die Schweiz, aber die Schweiz ist auch nicht mehr so geil. Aber Marzahn: Neutral, heil, stabil, steil.
Marzahn. Weiße Stadt. Garten der Welt mit Seilbahn.