Ohne Glanz kein Reflex

Früher war es so: Wenn man fortging, kam man nie wieder. Man zog Schlusstriche, ließ alles hinter sich. Blickte nicht zurück, fing noch mal von vorne an. Verließ seine Familie, oder wurde verlassen. Man erfror im Schützengraben, wurde als Deserteur erhängt, kam ins KZ, verschmachtete im Gulag, wurde Millionär, gründete Sekten in Mittelamerika, Chemiefabriken in […]

Früher war es so: Wenn man fortging, kam man nie wieder.

Man zog Schlusstriche, ließ alles hinter sich. Blickte nicht zurück, fing noch mal von vorne an. Verließ seine Familie, oder wurde verlassen. Man erfror im Schützengraben, wurde als Deserteur erhängt, kam ins KZ, verschmachtete im Gulag, wurde Millionär, gründete Sekten in Mittelamerika, Chemiefabriken in Südafrika, wurde von Außerirdischen entführt oder lebte unter falschem Namen für immer unerkannt in Bielefeld. Das einzige was von einem blieb, waren Telefonate einmal im Jahr, oder Pakete mit Nescafé und Jeanshosen zu Weihnachten.

Heutzutage ist das anders. Wer geht, der kommt wieder. Wer geht, bleibt.

Wohnungen werden nicht mehr gekündigt, sondern befristet untervermietet, damit man zurück kann, wenn es mit der Hochzeit nicht klappt oder mit dem neuen Job in der anderen Stadt. Man macht auch nicht Schluss, man meldet sich einfach eine Weile nicht mehr. Man kündigt auch keine Jobs, man macht immer noch mehr Jobs.

Alles ist temporär und reversibel, alles ist befristet.

Das Internet ist voll mit perfekt eingerichteten Wohnungen die man für drei Monate haben kann. Menschen auch. Nur am Wochenende, nur für drei Monate bis maximal ein Jahr.

Alles ist befristet, aber dafür auch viel schöner als früher. Und nie vorbei. Man kann immer zurück. Man kann es sich nicht mehr leisten, einen Job, eine Wohnung oder einen Menschen einfach aufzugeben.

Verflossene Liebhaber lassen sich mit einer Whatsapp Nachricht aktivieren, Jobs gibt man nicht auf, sondern man nimmt immer neue an und den Untermieter kann man schnell aus der Wohnung werfen, wegen Eigenbedarf.

(Außerdem hat man einen Freund, der eigentlich noch mit seiner Ex zusammen ist, ist selber Untermieter und auf Arbeit ist man nur die Schwangerschaftsvertretung.)

So hat man irgendwann fünf Jobs gleichzeitig, einen Ex an jedem Finger und etliche untervermietete Wohnungen in der ganzen Welt.

Früher konnte man mit sechs Stunden Arbeit pro Woche  eine fünfköpfige Familie ernähren. Mittagessen gabs zu Hause. Schnitzel mit Sauerkraut und brauner Sauce, dazu warmes Bier. Schwein von Mama selbst geschlachtet. Das will doch keiner mehr.

Es ist besser, wie es jetzt ist. Statt Frühstück Mittag Abendbrot viele kleine gesunde Snacks über den Tag verteilt.

Dazwischen macht man Kunst.

Kunst machen geht so:

Beim Fotografieren zum Beispiel, ist es natürlich wichtig, Reflektionen zu fotografieren. Dann entstehen gute Bilder. Ein Baum, der sich in einer Pfütze spiegelt, zum Beispiel. Oder das Gesicht einer schönen Frau spiegelt sich in einem Schaufenster. Das ist Blick, das ist Wahrnehmung, das ist der Beweis, dass man es drauf hat. Niemals nur den Baum, niemals nur die Frau. Die Megapixel wollen mehr als das. So ist es auch beim Schreiben. Nie direkt sein, immer reflektiert sein. Damit es Reflektionen geben kann, braucht man glatte Flächen, braucht man Glanz.

Ohne Glanz kein Reflex kein Bild.

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