Luxusprobleme einer Prenzlbergmutti

Ein paar Tage lang habe ich überlegt, ob es sein kann, dass ich möglicherweise Covid habe und ob man überhaupt noch Tests kaufen kann, aber ob ich dafür wirklich 4 Euro ausgeben möchte, für so einen Test und dann ist der aber eine Niete, wenn dabei rauskommt, ich hab nichts und dann hätte ich den umsonst gekauft und dass wär schade ums Geld und das ist mir zu riskant. Dann lieber noch ein, zwei Euro drauflegen und dafür ein Bio- Roggensauerteigbrot kaufen, das ist auf jeden Fall was und konkreter, als 3,95 für ein Gedankenspiel. “Wenn ich Covid haben sollte, dann merke ich das auch ohne Test.” sagte ich mir und kaufte das Brot. Und so schlecht gings mir doch gar nicht. Bisschen Schnupfen, Nachtschweiß, Magengrimmen. Der Peter und der Benno haben das auch und Benno gehts inzwischen schon viel besser, aber so richtig auf dem Damm ist er auch noch nicht und mir gehts genau so. Mir gehts besser, aber nicht gut und das schon wieder über eine Woche, dass sich Wehwehchen an Wehwehchen reiht, aber die laufen so als Hintergrundprogramm mit, denn eigentlich bin ich doch die ganze Zeit unterwegs und laufe rum und genieße die Sonne und treffe Leute und erledige Angelegenheiten und habe auch die Fenster geputzt und kann man das nicht kürzer zusammenfassen, es ist ja schon seit Zeile Drei eigentlich alles gesagt. Ich könnte mich jetzt noch drei Seiten darüber auskäsen, wo es wann weh tut und was ich alles erledigt habe, aus reiner Erzählfreude oder einfach weil ichs nicht drauf habe, weil ichs nicht kann, weil ich ungelenk bin, komplett aus der Übung- was sagt man, was lässt man weg, wie sagt man das Gute, Witzige auf gute und witzige Art und was ist gut. 

Ich muss wieder reinkommen ins Bloggen, das merke ich jetzt, also ich möchte es.

Weil ich als ich mit Wehwehchen lesend im Bett lag, also scrollend im Bett lag, zufällig mal wieder auf Moritz von Uslars Blog gestoßen bin: “Nachrichten aus dem Wald”-

Und zwar ist das ein Topblog, macht natürlich auch krass aggressiv zwischendurch, weil der so solide durchquatscht.

Aber genau darum gehts ja. Ich mach das jetzt auch wieder,

einfach diesen ganzen Kleinkram, die Witzchen und die Aggressionen und die Informationen unverfroren oberflächlich zum Besten geben.

Kein Bock mehr auf ungefilterte Realität. Für eine Weile fand ich es gut, Pause zu machen und fand es gut, gar nichts mehr aufzuschreiben. Nicht immer im Sammelmodus sein, gar nix mehr sagen. Gute Ideen sofort vergessen, Scherze nur noch im allerengsten Freundeskreis raushauen, oder nichtmal mehr das, verstehen die doch sowieso nicht, stattdessen allein in mich hineinkichern. Keine Notizbücher mehr mit mir herumschleppen, originelle Gedanken jeder Art einfach durchrauschen lassen. und sich nicht den Stress geben, die aufzuschreiben, zu formulieren, oder noch schlimmer, um Worte zu ringen.

Nix sammeln, aufbereiten, in Form bringen, um es anschließend zu teilen. Herrlich, wie ich mir erlaubte, all dieses kostbare Material ungenutzt liegen zu lassen, ziellos in den Äther rauschen ließ und da gar nichts mehr zuspitzte und da gar nichts mehr teilte und erhellend auf den Punkt brachte.

Nur für mich allein zog ich meine Schlüsse, gab keinem was ab.

Auch weil ich Mitleid hatte und Furcht. Und ich Rücksicht nehmen wollte, auf arme Wesen, die nichts dafür können.

Vielleicht ist das auch gar nicht so spannend, warum erst nicht mehr gebloggt haben und dann jetzt doch wieder bloggen. Aber genau darum gehts doch, diese Fragen, ob was spannend ist, oder nicht, abzuschütteln. Da muss ich wieder hin. Es geht doch um den Gedankengang und die Reise ins Ungewisse und nicht, ob das jetzt irgendwelchen Spannungsparametern genügt.

Kurz nachdem mein erstes Buch erschienen war- eine Sammlung meiner ersten Blogtexte- hatte ich schon mal so eine Phase gehabt. Ich hab nicht mehr gebloggt, weil ich dachte, wozu und das führt nirgendwohin und was mache ich stattdessen.

Ist man als Bloggerin überhaupt seriös, kann ich jemals arrivieren und in die Oberschicht aufsteigen, wenn ich blogge?

Bloggen ist unfein, bloggen ist was für Tätowierte. Bloggen ist was für Ossis. Bloggen ist was für Mädchen. Bloggen ist wie RTL2 gucken und jemandem der Wohneigentum besitzt, erzählen, dass man RTL2 geguckt hat. Bloggen ist wie Bürgergeld beziehen. Bloggen ist wie im Müll nach Pfandflaschen suchen. Bloggen ist voll peinlich.

August 2014. Es war sowieso alles peinlich. Da ist nämlich mein Ebook erschienen. Es war so schlimm, dass mein Ebook erschien. Ich hab mich so geschämt. Immer wenn ich jemandem erzählt habe, dass im August mein Ebook erscheint, haben die Leute immer zuerst statt Ebook, BUCH verstanden:

Ein Buch! Ruth! Endlich! Wie toll! Wo kann ich es kaufen, kann ich es im Buchladen bestellen? Kannst du mir eins geben?

Und dann musste ich sagen, dass kannst du nicht bestellen, das gibt es nur virtuell, es ist kein Buch, sondern ein EBOOK.

„Ein was?“

„Ein Ebook.“

„Ein Ibuk? Was ist das?“

Und dann musste ich erklären,was ein Ebook ist. Ich hab mich so geschämt.

Damals las keiner Ebooks- es liest ja immer noch niemand Ebooks.

Erzähl das mal jemand, dass du Ebooks liest, die Gesichter der Leute, die schmelzen direkt zusammen. Ebooks lesen ist wie bloggen.

Sowas macht man nicht.

„Ebooks lese ich nicht. Ich brauch das Haptische. Ich muss das Buch in der Hand halten, die Seiten umblättern, Paper anfassen. spüren. Sag Bescheid, wenn ein RICHTIGES Buch von Dir erscheint.“

Als mein Ebook erschien, gab es noch nicht mal eine Buchpremiere. Ich hätte mich darum gekümmert, aber ich wusste damals gar nicht, dass es sowas wie Buchpremieren gibt.

Das Ebook ging unter und mir war alles daran peinlich, sowohl der Inhalt, als auch der Titel und mit ein paar Leuten, die in dem Ebook ihrer gerechten Strafe zugeführt werden- nämlich öffentlich verwurstet zu werden, hatte ich damals noch Kontakt und vielleicht wollte ich auch nicht, dass die das mitbekommen, verwurstet worden zu sein.

Ich weiß gar nicht, ob meine Verlegerin das EBOOK überhaupt gelesen hat, bevor sie es herausgebracht hat und ich weiß auch nicht mehr, was drinstand, weil ich dieses EBOOK auch nicht gelesen habe, bevor es veröffentlicht wurde.

Das war ein Schnellschuss. Zwischen der Verlagsanfrage und dem Erscheinen des Ebooks war kaum Zeit vergangen. Deswegen auch der peinliche Titel, weil ich einfach keine Zeit hatte, länger drüber nachzudenken.

Dann wurde das Cover festgelegt und das war mit die allerschlimmste Demütigung. Ich hatte natürlich gedacht, dass ich das Cover entwerfe, aber nein, wurde mir gesagt, das macht die hauseigene Grafikerin. Ohaaa! Eine echte Grafikerin! jubilierte ich nichtsahnend- eine ganz normale Reaktion.

Ich ringe jetzt nicht um Worte, um zu beschreiben, was die echte Grafikerin als Cover vorschlug. Da wüsste man gar nicht, wo man anfangen soll. Sowohl Motiv, Farben, Schriftart, Schriftgröße, alles zusammen, was sollte man dazu sagen, also das war halt deren Stil.

Ich zeigte den „Entwurf“ einer Freundin- auch eine echte Grafikerin, übrigens.

„Auweia! Kannst DU nicht dit Titelbild malen?“

„Nein. Hab schon gefragt, trau mich nicht nochmal.“

„Und die Schrift jrün auf jrünem Grund??? Wieso denn ditte???“

„Ja, das kann man bestimmt noch ändern, es ist ja nur ein Entwurf…“

„Und wieso is allet jenau so jroß jeschriem? Und inner gleichen Schriftart? Dit sieht do kakke aus!“

Aber ich konnte nix machen, wegen Corporate Identity. Stimmt- alle Publikationen meines Verlages hatten grausige Cover.

Trotzdem versuchte ich, noch was dran zu drehen. Am Ende wurde mein Ebook blasslila, oder so altersheimmauve, eine tote Farbe, ohne Wärme, ohne Aura, nicht mal ein Farbverlauf wurde mir gegönnt. Und Name und Titel in weiß und mehr war beim besten Willen nicht drin.

Bis heute scrolle ich schnell weiter, wenn ich das Cover meines Buches in meiner kindle Library sehe.

Nein, inzwischen bin ich auf dem Cover, aber auch in lila eingefärbt. Ultrapeinlich.

Ich glaube, die echte Grafikerin mag weder mich, noch den Verlag. Ich glaube, hinter dieser Verbindung steckt was Anderes. Eine alte Schuld die abgetragen werden muss. Kann auch sein, die echte Grafikerin hat Verbindungen in allerhöchste Buchbranchenkreise und hat gedroht, dass etwas Schreckliches passiert, wenn sie gefeuert wird.

Meine Bücher haben seltsame Cover, aber das ist wirklich das Maximum an halbwegs ok, was man dieser Frau abringen konnte. Aber das ist ganz normal. 99% aller Bücher haben schlechte Cover.

Als mein Ebook rauskam, war Bloggen schon lange passé.

Die freundlichen Paparazzi, Tristesse Royal und shesaiddestroy waren abgeschaltet.

Dann gab es noch diese biederen Berlinerinnen, die täglich über Kinobesuche und Balkonpflege schrieben, oder das Aufräumen des Büroschreibtisches und am Schluss noch ein politischer Allgemeinplatz, à la : Wildes Autogehupe unterm Südfenster- Die Rücksichtslosigkeit breitet sich zunehmend aus- um so schöner, dass wir Nachbarn uns jetzt zusammengetan haben, um gemeinsam Baumscheiben zu bepflanzen. Kleiner Reminder an euch alle: Gemeinsam können wir die Welt schöner machen und wenn es nur ein ganz klitzekleines Bisschen ist.

Die war ein richtig fetter Fisch im Bloggerteich- unter jedem ihrer Einträge wurde ausgiebig kommentiert. Vollkommen harmlos, aber trotzdem ärgerte ich mich über die.

Aber die war ein Fan von mir, weswegen sie mich in ihre Blogroll aufgenommen hatte, oder manchmal, verlinkte sie einen Blogeintrag von mir direkt bei sich im Blog. Also sie schrieb sowas wie: Frauruth schreibt gut! und dann der Link. Das brachte „Traffic“ und das war ja eigentlich auch total nett von ihr, weswegen ich sie auch verlinkt hatte und manchmal mich verpflichtet fühlte, bei ihr etwas zu liken, warum auch immer.

Es war einfach alles eine sehr peinliche Szene.

Bloggen war out. Ich wollte das nicht mehr. Ein Ebook mit strafbarem Inhalt und immer noch am Bloggen? Und kesse Sprüche bei Twitter? Das war alles, was ich zustande gebracht hatte. Ich war am Ende.

Steffi Sargnagel hatte Bloggen groß gemacht. Das SZ Magazin hatte eine Fotostrecke mit Steffi Sargnagel gebracht und ihre Blogtexte abgedruckt. Inklusive ausführlicher Huldigung ihres einzigartigen Stils und Einordnung in die Literaturgeschichte von Ijoma Mangold.

Steffi Sargnagel hatte das Genre Blog zum Höhepunkt und wurde dann vom Kulturbetrieb assimiliert und für sie wars ok.

Provokant oder anarchisch war da gar nichts mehr, sondern sie war eine moralische Instanz geworden, eine Stütze der Gesellschaft, ich las sie schon lang nicht mehr.

Als ich sie noch gelesen habe, erwähnte sie manchmal ihren Boyfriend und von dem gabs ja nie ein Bild und ich dachte immer, dass der bestimmt nicht gut aussieht und dass der immer schwarze Klamotten trägt und lange fettige Haare hat und ganz weiße Haut, weil er nie rausgeht und dass er einen oder zwei Köpfe größer ist, als die Steffi und sein Kapuzenpulli ist immer voller Katzenhaare und er hat die Steffi voll lieb.

So habe ich mir den Freund von der Steffi vorgestellt. Was kann ich denn dafür?

Bloggen verdirbt den Charakter. Also, ich wollte nicht mehr bloggen, ich wollte mehr.

Das kam alles daher, dass ich vollkommen verwirrt und überfordert war, dadurch, dass es jetzt mein Ebook gab und aber gar nichts weiter passierte, außer ein lauwarmen Erwähnung in der „Edition F“ .

Meine Verlegerin sagte, ich soll mich auf „Goodreads“ anmelden und dann eine „Leserunde“ einladen und Userinnen einladen, mein Buch zu lesen und darüber zu diskutieren und dafür zu voten, oder so.

Aber das machte ich nicht. Was, wenn die mein Buch nicht gut fanden? Und dann steht da irgendein mieses Gewäsch unter meinem Buch auf Goodreads. Oder so unbedarftes Horrorlob wie: „Rührend…witzisch…Börrlinn“

Was für ein beklopptes Ebook hatte ich da geschrieben.

Meine Sachen waren eigentlich gar keine Blogtexte, aber Kurzgeschichten auch nicht und sie waren aber auch nicht mehr als das, aber andererseits gab es auch zu wenig Gags und zu wenig Politik und Kängurus. Das war nix, das war ganz ok, aber weitgehend peinlich.

Weswegen es gut war, dass meine erste offizielle Veröffentlichung von niemandem zur Kenntnis genommen wurde.

Mein Ebook war Ende August erschienen, aber Anfang Oktober kamen dann die Flüchtlingsströme ins Land und die haben meinem Ebook dann den Rest gegeben.

Zehntausende existenzielle Krisen schoben sich zwischen meine Privatgeschichten. Leute die im Mittelmeer ertranken, Leute, deren Häuser zerbombt waren, deren Familien durch Flucht und Tod und zerrissen waren, Leute mit konkreten Gründen verzweifelt zu sein, beherrschten die Feuilletons- wie könnte man da ein Ebook (!) mit Storys aus dem Innenleben einer gänzlich ungeflüchteten Prenzlbergerin zur Kenntnis nehmen?

Das war schlechtes Timing- wäre das Buch vier Wochen früher erschienen, hätte es die Stimmung getroffen und hätte es die Bundesrepublik Deutschland freudig zur Kenntnis genommen. “Die Mütter vom Prenzlauer Berg” war damals Thema und die hohe Geburtenrate im Bezirk- der eklatante Unterschied zum restlichen Deutschland- Es war ein Wohlfühlthema- alle großen Tageszeitungen brachten Reportagen über Latte Macchiato- Muttis und ihre Kinderwagen und wie sie nerven und wie doof sie sind und wie doof überhaupt alle aus Berlin sind, die Erben, die Ossis, die Hipster, die “digitale Boheme”, die Ökos mit dem SUV, die ihre plärrenden verwöhnten Bälger direkt auf den Tischen der Trend- Italiener- Restaurants wickeln und bevor sie sich komplett obenrum freimachen und sich mitten in die Café- Schaufenster setzen, oder gleich mitten auf der Straße stehenbleiben, alles blockieren-  um die kleinen Ole- Christians und Zoe- Lisa- Pippis maximal rücksichtslos zu stillen u.s.w.

Und da wäre so ein ungeschönter Blick wie der meine in und aus dem Herzen der Finsternis doch sicher bundesweit auf fruchtbaren Boden gefallen- erhoffte ich mir, oder ich weiß nicht, was ich mir erhoffte- aber seit ab Ende September 2014 eben ganz andere Frauen und Kinder in die Innenstädte strömten, herrscht Ruhe. Und deren stets gut verschleierten Brüste sind kein Thema in Stern und Spiegel und deren Kinderwagen stehen nie wem im Weg und ob die Bio essen oder nicht, kümmert auch keinen, und ob die Papas das Elterngeld in Anspruch nehmen und dafür in Teilzeit gehen und ob und wie die die Care- Arbeit aufteilen und welche bekloppten Projekte “Wir nennen es Arbeit” die in ihren Macbooks bearbeiten – darüber schreibt keiner eine bissige Polemik in der Süddeutschen, über die Verschleierten und ihre Brut und Brüste geifert keine Anja Maier in der taz.

Also, dass die Flüchtlingswelle meine Träume von Erfolg und Anerkennung und sozialem Aufstieg unter sich begraben hatte und ich jetzt nicht mehr wichtig war.

Meine Verlegerin brachte das nächste Ebook heraus, die gesammelten Blogeinträge eines syrischen Flüchtlings und mit dem fuhr sie dannzur Frankfurter Buchmesse und bei dem war es egal, auf welcher Art Medium man ihn publiziert hatte.

Aber das war gut für mich, das mal mitzukriegen, was möglich ist.

Der wurde im Radio besprochen und zu Lesungen eingeladen und ins LCB und klar hat mich das gewurmt.

Es hätte mich weniger gewurmt, wenn ich seine Sachen gut gefunden hätte. Oder wenigstens besser als meine und wie schwer konnte es sein, besseren Kram als ich zu schreiben, wo mein Kram doch soc schlecht war?

Es war ja nicht komplett schlecht, was er schrieb, aber es war viel weniger interessant, als dass was ich geschrieben hatte.

Er versuchte einen auf cool zu machen („Der klügste Mensch im Facebook“) und das EBOOK bestand einfach nur aus seinen Facebook- Statusmeldungen- aber stand immer nur was von Tee trinken, oder dass seine Mutter nachher noch kommt und ab und zu irgendwie popliterarischen Reminiszenzen, also Erwähnung von Markennamen oder den Beatles.

Ich kriegs nicht mehr zusammen. Ich habs so oft versucht, seiner Schreibe was abzugewinnen, oder wenigstens die Situation zu verstehen. Jetzt war er in Berlin, aber wo war er zuvor? Hatte er deswegen so viele Likes für seine Statusmeldungen, weil er damit signalisierte, noch am Leben zu sein?

Der Typ war angeblich Arzt, und Autor nur im Nebenberuf, als Statusmeldungsverfasser, aber was für eine Sorte Arzt? Warum arbeitete er nicht? Warum hing er zuhause ab und machte einen auf Slacker?

Das waren außerdem auch gar keine Statusmeldungen, sondern mehr Gedankensplitter, oder er sagte sowas wie:

Der Baum vor meinem Fenster. Daran hängt ein letztes Blatt.

Also das gab mir nichts, aber das muss ja nichts heißen und natürlich habe ich den vielleicht weniger wohlwollend betrachtet, als es er verdient hat, aus purem Neid oder auch aus feministischen Gründen:

Wieso sind die Gedanken eines wildfremden syrischen Mannes, der noch nichtmal Autor ist und der seit zwei Wochen in Berlin lebt und nach dem bis dato noch weniger Hähne als nach mir gekräht haben- wieso wird ihm so viel Platz und Aufmerksamkeit eingeräumt? Warum zählt seine Perspektive mehr als meine?

Aber natürlich, er war ein heimaltloser Flüchtling- aber doch wohl nicht gerade arm? Er ist Arzt und arbeitet nicht. Stattdessen Social Media von früh bis spät, anstatt seinen Landsleuten zu helfen, oder auch deutschen Kranken. Wir brauchen Ärzte und Pfleger in Deutschland. Schriftsteller haben wir mehr als genug. Weil wir doch das Land der Dichter und Denker sind.

Vielleicht sollte ich auch irgendwohin fliehen. Vielleicht findet man mich dann interessanter.

Der durfte seine unpointierten Statusmeldungen abendfüllend solo in der Waldbühne vor einem Millionenpublikum zu Gehör bringen (sozusagen) – 

Aber ICH halt nirgendwo, oder wenn überhaupt, nicht allein, sondern hineinkuratiert in Kulturkneipe- oder Keller, zusammen mit einem Häuflein anderer Kleinkünstler und noch schlimmer: Musikbeiträgen! 

Meine sorgsam mit Herzblut und scharfem Geist mühsam in stundenlanger Arbeit zusammenziselierten genialen Kurztexte, mein literarisches Debüt, Gipfel meines bisherigen Schaffens. 

Aber nur EINER, maximal zwei-  insgesamt maximal zehn Minuten Lesezeit, weil die anderen ja auch nur zehn Minuten kriegen. 

Und da verplätschern sie dann zwischen Spoken Poetry und Naturgedichten und derber Glosse auf Plattdeutsch und witzigem Wortspielsprechgesang zu Harfenbegleitung, in verständnislose Ohren…

Luxusprobleme einer Prenzlbergmutti- wie kann sie nur – im Balkan erfrieren Menschen in den Wäldern- und DIE beschwert sich darüber, ins Berghain gekommen zu sein, aber im Berghain nicht gekommen zu sein. 

Was für eine seichte oberflächliche Person. Kein Wort über Lampedusa— stattdessen gibt sie sich wortreich bekümmert darüber, dass sie schlecht geleckt wurde. 

Findet die das lustig?

Und danach geht der Hut rum und 15 Euro plus zwei Freigetränke (Bier oder Wein) und polnischer Abgang.

“Ich hab ja nichts dagegen, verkannt zu werden und missachtet und angefeindet- aber kann das nicht etwas großartiger geschehen, als für n Appel und n Ei unter ferner liefen und sang und klanglos in ner Kulturkellerkneipe zugleich ohne Konkurrenz aber was bringt das bei nem Publikum ohne Kompetenz? 

Comedy Night mit Jan Uwe Kling, Caroline Wahl, Carolin Kebekus, Culcha Candela und Charles Bukowski- und ich war Charles Bukowski. 

Aber ich war natürlich erwachsen und auch nicht so blöd, mich ernsthaft im Krisenmodus zu wähnen. So ist das nun mal als Künstler und ich war auch daran gewöhnt, also Pech zu haben- das gehört dazu, das muss man abkönnen. Sowieso sind alle immer der Meinung, nicht den Erfolg zu bekommen, der ihnen zusteht. Fühlen alle sich missverstanden. Egal wie arriviert, besser geht immer. Schirach, Houellebecq, Grass, Dostojewski, Roth, Biller, und auch weibliche Autoren höchsten Ranges, nur da fällt mir gerade keine ein, die sich dergestalt geäußert hätte, in einem Essay oder Interview. Vielleicht aus Ignoranz, oder weil mir gerade keine einfällt, es sei denn, sie schreibt hauptsächlich darüber, dass und wie Frauen im Patriarchat strukturell benachteiligt werden, aber das ist ja ein ganz eigenes Genre, da würde sie sich aus beruflichen Gründen beschweren und sonst sagen doch alle Frauen immer, wie dankbar sie sind, den Beruf ausüben zu dürfen und wie toll ihr Verlag und wie lieb ihr Lektor sei und wie schön die Zusammenarbeit und wie glücklich sie sind, schreiben zu dürfen und verlegt werden zu dürfen usw usf. Und dass sie sich bewusst sind, es geschafft zu haben, als eine der wenigen Frauen und so weiter. Und angeprangert werden höchstens zweideutige Angebote, aber nur ganz allgemein und anonym, oder vom Hören Sagen. Wohingegen Männer, erfolgreiche, stinkreiche Autoren- sich schamlos und ungezügelt über Unverständnis oder Verrisse, oder sonstigen Unbill beschweren und zwar mit kompletter Namensnennung und genauem Jahrestag und Quellenangabe. 

Walser hat der Schmähung seines Schmähers Reich Ranicki einen kompletten Roman gewidmet, Behzad Karim Khani hat eine Literaturbloggerin mit Vor- und Zunamen per Facebookstatus zur Schnecke gemacht, inklusive Spekulationen über ihre psychische Gesundheit und Alleinerziehendenstatus, auch Maxim Biller doxt Kritiker und Exfrauen in unzweifelhafter Direktheit, Karim Khani hingegen Biller usw usf.

Aber Frauen? Immer erst Jahrzehnte später- wenn überhaupt- und Sophie Passmann hatet immer nur AFD Wähler oder sich selbst ab (Pickme- Girls etc.) – 

Aber warum macht Charlotte Roche Sexpodcast mit ihrem Ehemann, oder schreibt Romane über Dreier mit Prostituierten und Menstruationsblut und Nasenpopel-

Aber warum denn nur? Warum benutzt sie diese aggressive Offenheitspower nicht, um eine bodenlos fiese Abrechnung mit Jan Böhmermann abzuliefern? 

Anstatt die wahren Gründe und Vorgänge hinter ihrem Rausschmiss bei “Roche und Böhmermann” rauszuballern -in gnadenloser subjektiver Offenheit, voller Hass und Wut auf 350 Seiten- ihn nur notdürftig kaschiert als fiesen Widerling bloßzustellen, zerlegt sie ihre Protagonistinnen, schildert sie in drei oder vier aufeinanderfolgenden Romanen deren Sexualleben und Familientragödien und intimste Struggles – richtet ihre Wut sozusagen nach innen- zerlegt ihr literarisches Ich- anstatt Böhmi zu zerlegen. 

Aber darüber schweigt sie sich ladylike aus und ich finde das aber nicht ok. So sind Frauen. Verstecken sich immer hinter sich selber. Weil sie zu feige sind, in die Schlammschlacht zu ziehen. Das fände ich persönlich aber viel wichtiger und interessanter. 

Warum schreibt Ronja von Rönne Kunstmärchen über Depressive, oder Selbsterfahrungsprivatoffenbarungstexte über ihre Depressionen und oder Suizidgedanken, anstatt mal ernsthaft auszupacken über ihre Welt und zwar mit nur leicht abgewandelten Vor- und Zunamen und unmissverständlich deutlich- wer genau da wann und wo und wie mit ihr umgesprungen ist und sie da eigentlich reingetrieben hat, in diese Depressionen.

Sowas muss doch raus. 

Stuckrad- Barre sagt doch in Panikherz auch ganz genau was Phase ist und in “Bist du noch wach” da verbrämt er nicht, um was und wen es geht und zwar exakt und mit allen Details. 

Houellebecqs bestes Buch behandelt seinen Pornoskandal usw usf. 

Theaterstarregisseure die es doch gar nicht nötig hätten, reden in Interviews weniger über ihre Arbeit, als darüber, wie gnadenlos Kritiker XY diese systematisch heruntermacht.

Auge um Auge, Zahn um Zahn. 

Aber Elfriede Jelinek ritzt sich Buch für Buch die eigenen Oberschenkelinnenseiten auf, oder prangert so kunstvoll wie abstrakt Mütter und den “Faschismus” oder den “Sport” oder die “Religion” an.

Aber Thomas Bernhard? 

Schreibt: “Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen” oder eben “Holzfällen” – wo er erstmal verklagt wurde und vom gnadenlos Dargestellten und es war sehr unfein von ihm und es eins meiner Lieblingsbücher von ihm und überhaupt.

Ich habe aber kein Lieblingsbuch von Elfriede Jelinek. Noch nie ein Buch von Ronja von Rönne gelesen. „Feuchtgebiete“ und “Mädchen für alles” auch nicht. Aber von Stuckrad- Barre so gut wie alles. Ich finde, dass Stuckrad- Barre irre gut schreibt- aber ich finde auch, dass Charlotte Roche irre gut schreibt. 

Ich finde, dass Ronja von Rönne irre gut schreibt- ihre Kolumnen in der Welt damals und ihren Blog- Da war ich neidisch. Das war manchmal seicht oder zu zahm vom Inhalt her- aber andererseits auch total krass und sie hatte ja sofort Erfolg mit ihren Blogtexten und wurde zum Bachmann- Wettbewerb eingeladen und hat dann die Welt Kolumne bekommen und die Zeit- Kolumne und während ich noch die Flüchtlinge und den Scheiß- deutschen Staat mit seinen Schlangen bei Minus 15 Grad vorm Lageso und den Turnhallen KZs – Doppelstockbetten ohne Trennwände für wirklich arme und kaputte Menschen und meine Verlegerin, die sich nur um den syrischen Blogger bemüht hat, aber nicht genug um mich und überhaupt alle- denn wieso haben alle Literaturagenten und Verlagsmitarbeiter mir gesagt: Schreib einen Roman, Kurzgeschichten wollen wir nicht, drucken wir nicht, verkaufen sich nicht- Kurzgeschichten gehen nicht als Debüt- schreib erst einen Roman und dann kannst du vielleicht einen Kurzgeschichtenband rausbringen- 

sagten sie, weswegen ich dankbar war, dass meine Texte wenigstens als Ebook erschienen waren und so weiter, weil diese Texte mussten ja raus und die waren doch gut- und ich merkte auch, dass sich mein Status dadurch geändert hatte. 

Also, viele Leute sagen, dass sie schreiben, oder Kunst machen, aber sie haben weder Ausstellungen, noch Lesungen und auch keine Webseite und keinen Verlag und keine Agentur und ich hatte das inzwischen aber alles, trotz der Flüchtlingskrise und ich bewertete das bisher Erreichte als Erfolg und sah mich zu Recht am Beginn eines Werdegangs und war insgesamt gereift und war auch zu der Erkenntnis gelangt, dass mein Weg auch weiterhin holprig bleiben würde, weil Wege das so an sich haben und wenn es Leute gibt, die für weniger Aufwand mehr bekommen, da kann man nichts machen, außer übler Nachrede und dergleichen, aber so will man ja nicht sein. Man kennt ja diese Künstler, Dichter, Schauspieler, Menschen, die überall herum erzählen, zu kurz gekommen zu sein und wie sehr sie Matthias Schweighöfer hassen, oder Helene Hegemann, die einfach mal dreist seitenweise Text aus Airens Strobo in ihr Axolotl reinkopiert hat und die hätte ja wenigstens vorher fragen können, oder sich bei ihm bedanken, stattdessen hat sie nichts gesagt und in ihrem 16jährigen Hirn geglaubt, das merkt keiner, weil “Strobo” war ein Undergroundroman von einem Nobody- und dann hat sie sich so achselzuckend entschuldigt, als sie in der Harald- Schmidt- Show war und wieso hat er nicht Airen in seine Sendung eingeladen und die Hegemann war und blieb Everybodys Darling, obwohl sie gegen einen elementaren Ehrenkodex verstoßen hatte. Und das lag auch nicht am Alter, denn man schreibt nicht ab, das ist einfach komplett unethisch, man klaut kein geistiges Eigentum und gibt es als das seine aus und lässt es drauf ankommen, erwischt zu werden. 

Wenn ich das jemandem erzähle, winken die Leute ab.

Alter Hut, Axolotl war ein geiles Buch, Airen Strobo hat es auch berühmt gemacht, also er hat davon profitiert und Helene war 16 und Berghaindrogensex konnte sie ja nicht selbst recherchieren, wegen Jugendschutz, also hatte sie keine Wahl und das ist eine andere Generation, man sampelt, man collagiert…. 

Ja, aber man macht das kenntlich!

Ja, aber die wusste das nicht , dass man sowas nicht macht, und das war bestimmt nicht leicht für sie, der Shitstorm, den sie deswegen abbekommen hat und bis heute kommen immer wieder Leute damit an und sie hatte doch ein schweres Schicksal, was sie künstlerisch aufgearbeitet hat, in so jungen Jahren und wie gut hat sie sich entwickelt, damals war sie dick, jetzt ist sie dünn.

Und “Torpedo”, dieser Kurzfilm, den sie mit 14 gemacht hat, den fand ich auch nicht gut, gar nicht gut und das ist nicht das Problem, dass Helene Hegemann mit 14 einen schlechten Film gemacht hat. Mit 14 haben wir alle schlechte Filme gemacht und uns daran erfreut, mit reinem Herzen. Das Problem war ja nicht Hegemann, sondern diese ganze unangemessene hysterische überkandidelte raubtierhafte Aufmerksamkeit, die sie für ihre Geniestreiche bekommen hat.

Was sie ja selbst auch angeprangert hat, übrigens. Aber darum geht es nicht.

Wenn ihr Vater, oder die Volksbühnenleute sie ein bisschen hätscheln, das ist ganz normal und auch sehr schön und wir waren alle damals ständig in der Volksbühnen- oder BE- Kantine und auch ständig im Theater und da war nichts weiter dahinter.

Also, ich fand das wichtig, was ich da in den 90ern zu sehen bekam und danach stellte man sich in die Kantine und rauchte und trank und die Frage was man da wollte und sollte, stellte sich nicht. Wir haben ja nicht versucht, Schauspieler kennenzulernen, oder Schlingensief anzusprechen, es ging nicht mal darum, denen zu begegnen, wieso auch. Worüber hätte ich mit Martin Wuttke reden sollen, ich kannte den nicht und Schauspieler finde ich nur auf der Bühne interessant oder begehrenswert, in ihrer Rolle. Aber ich verwechsle das doch nicht mit der Privatperson und ich fand das eher unangenehm, die in der Kantine zu sehen. Schauspieler sollen spielen, nicht saufen. Ein betrunkener Schauspieler ist ein wirklich trauriger Anblick.

Also, in der Volksbühnenkantine war für alle Platz und mehr weiß ich nicht.

Aber Helene Hegemann war mir trotzdem zuwider und irgendwie ist das irrational. Oder warum hab ich sie nicht einfach auch gefeiert, für das was sie ist, wie alle anderen, denen hat sie doch auch nichts ausgemacht.

Aber Eifersucht, Neid, kanns nicht gewesen sein, denn dann wär ich ja inzwischen nicht mehr von ihr getriggert. Ich kann sie aber immer noch nicht ab, das ergibt keinen Sinn.

Ich kenne die nicht, ich habe ihre Bücher nicht gelesen, und wenn sie im Fernsehen aufscheint, schalte ich um und ich habe si evon Anfang an ausgeblendet, was nicht schwer war, sie kam mir ja gar nicht in die Quere und ich habe auch nie mit ihr gesprochen und sie eigentlich auch noch nie in echt gesehen, außer vielleicht mal von Weitem. Also was soll das? Und meine netten lieben Freundinnen, die ihr sehr wohl persönlich begegnet waren, weil die ganz anders vernetzt waren, in Theaterkreisen und Szenekreisen, wegen ihres Studiums, die sagten, die Helene, die ist wirklich total sweet und nett. Und die mochten auch Torpedo und der Axolotl ist ein geiles Buch.

Ja mann, good for you. SYBAU.

Alle Menschen sind nett. Ich bin auch nett und kann nett “Hallo, wie gehts Dir, schön, Dich zu sehen!” sagen, das ist doch normal, das gehört sich so und inzwischen habe ich das drauf und früher war ich manchmal nicht so nett, das hat auch keinen gestört, also was sagt das über mich aus, ob man nett genannt wird.

Vielleicht liegt es daran, dass dieses Mädchen, dieser gefallene Engel, dieses Hegemädchen, das plötzlich von irgendwo im tiefen Westen in Berlin erschien, oder auftauchte, und zugleich mit ihr, erschienen doch auch Film und Buch, das war doch plötzlich da- Helene, Axolotl und Torpedo?  

Und die Hegemann erschien und war überall sofort mittendrin, ohne Anlauf direkt Queen -eine 14jährige, die über schwulen Sex im Berghain schreibt, da wusste ich noch nicht mal was ein „Berghain“ ist und vorher aber noch sämtliche Volksbühnenschauspieler in ihrem Film chargieren lässt, als seien die ihr Spielzeug.

Also, sie hat die benutzt, für ihren Film, genau so wie Strobos Texte für ihr Buch.

Als kalkulierten Effekt.

So wie der Film ja eine billige Provokation an die nächste reihte, um zwischendrin auf die Tränendrüse zu drücken und das alles im herkömmlichsten Stil und Spiel deutscher Fernsehfilme, also wie ein schlechter „Tatort“. Im Westen nichts Neues, schon mit 14 total alt, bzw outdated, aber keiner merkt was, weil die Kleine Sachen sagt, wie „Fick mich“ und „Schlag mich“, also sehr gut geeignet fürs anvisierte ältere Publikum, alle Mamas und Papas die das sehen, fliegen hoch.

Das seelenlose Zerstör Gör.

Hat alles kaputt gemacht, aber sie konnte das nur schaffen, weil alle mitgemacht haben, und keiner hat die Kleine nach Hause geschickt, sondern …

Axolotl stand in jeder Bahnhofsbuchhandlung und jeder Dodel wusste auf einmal Bescheid über Chemsex und harten Techno, Tanzen und Schweiß und all den anderen Scheiss. 

„Torpedo“ lief im ZDF und ab da dachten alle:

So ist Berlin.

Also, sie hat aus der Subkultur einen Porno gemacht, sie auf ein Klischee geschrumpft und damit disneyfiziert, kommensurabel für jeden Hinterwäldler gemacht …

Seit Torpedo war es allen klar:

Wenn eine Dürre, Schrille, mit wirr frisierten Haarsträhnen, zerlaufendem Mascara, schreckgeweiteten Augen, Riesenpupillen, in einem angeschmuddelten türkisfarbenen Ballkleid in die gute Stube taumelt, fertig guckt und “Ey!!!” brüllt und “Scheiße!” und sich dann das Kleid hochzieht, bis zum Schlüppi und sich auf den Boden wirft, oder breitbeinig irgendwohin fläzt und dann noch was schreit und sich dabei auf die Brüste schlägt, oder eine Hand vorne ins Höschen steckt und sich dann oder gleichzeitig, eine Kippe in den Mund steckt, agrressiv den Rauch auspustend, knallrot und verschmiert der Lippenstift- dann ist das Volksbühne.

Wenn es nachts ist, Schweiß von der Decke tropft, dumpfe Bässe, Leder, Speed, Koks, Ecstacy und jemand, ohne Namen und Gesicht bringt dich zum Orgasmus- dann ist das Berghain.

Und danach wars irgendwie vorbei, mit Berghain und Volksbühne. Das Fluidum entwichen, die Luft raus, alles nur noch profan, ein Konsumgut, wie alles andere auch.

Die Hegemann hatte das Bedürfnis nach anspruchsvoller Unterhaltung für die Mittelschicht erfüllt und mehr war es doch auch nicht. Ein Blick hinter die Kulissen- mit Kinderaugen-

ein Must- see, ein Must- read, weil geschaffen von diesem Kuriosum:

Ein Kind, ein lieblich- unbeholfener Teenager mit Babyspeck, der sich hinter dem stets über Stirn und Augen fallendem Haar zu verstecken schien-

Und der dann aber auf Knopfdruck in druckreifen Sätzen aufs Abgeklärteste, Unschüchternste daherschwafelte, mit der professionellen Abgebrühtheit eines Gerhard Schröder

Und der Film lief deutschlandweit in Kino und Fernsehen und wer sich informieren wollte, über die Volksbühne und über Berlin, der schaute sich den Film von der Hegemann an und wusste fortan Bescheid: Das ist Berlin. 

Und damit war die Seele gekillt, Berghain und Volksbühne ihr eigenes Klischee geworden, den himmlischen Sphären entrissen, das Geheimnis verraten, auf ganz einfache Zutaten runtergerechnet und somit entzaubert und Helene am Touren durch Deutschlands Kulturprogramme und hat allen und jedem alles und jedes erzählt.

So wie „Die wunderbare Welt der Amèlie“ das Fluidum von Paris zerstört hat, so wie Porno den Sex zerstört hat…

Hat Hegemann Berlin entkernt.

(Hat das Kino nicht irgendwann mal Mythen geschaffen, statt welche zu zerstören?)

Das internationale Kino hatte für sowas die Gebrüder Jeunet und Wes Anderson, Deutschland hatte Helene Hegemann.

… und die war ja zu der Zeit nicht die einzige Plage im Kulturbetrieb… 

Es gab ja auch noch Christian Petzoldts “Die innere Sicherheit” – fassungslos vor Wut schwankte ich aus dem Kino. Der Film war ja ein klägliches Monument der Angst. Bei jeder Einstellung schien der Regisseur sich gefragt zu haben: “Kann man das so machen? Geht das so?” und weil er sich die Frage nicht beantworten konnte, beschränkte er sich auf Baumkronen und starre Gesichter, sparsame Dialoge und diese Angst, oder Vorsicht, oder diffuse Langeweile, die der Film ausstrahlt, die brachte mich schier zum Ausrasten und als dann noch diese Liebesgeschichte ins Spiel kam, ohne Ambition oder Kreativität, Motivation, alles nur Behauptung, bis zum Schluss. Und aus Wut las ich Petzold Interviews und sah ihn mir im Fernsehen an und er war ja wirklich ein netter und angenehmer Typ, der eine Menge wusste über das Kino und warum wandte er sein Wissen nicht an, und warum beschäftigte mich dieses Phänomen so sehr? 

Damals gab es noch keine Begrifflichkeiten für diese Art Kino.

heute weiß man, dass das lahmer lebloser streberhafter ungekonnter unbeholfener unwichtiger Quatsch war. Aber damals stand man dem ja erstmal fassungslos gegenüber.

Filmfestivals und Feuilletons und der ganze Kulturbetrieb feierten diese Filme einhellig und sogar international fand das ja irgendwie statt. Das war auf einmal alles ganz ganz wichtig un d es gab kein Gegengewicht, bzw das Gegengewicht war Andreas Dresens „Nachtgestalten“ oder der „Halbe Treppe“ Wahnsinn und ich fragte mich, ob ich die Welt nicht mehr verstehe, oder sie nie verstanden habe und das war vielleicht ein wichtiger Schritt in Richtung Erwachsenwerden. Ich habe Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends.“ nie gelesen, aber so fühlte es sich an.

Es war ja nicht nur Petzoldt, sondern eine ganze Gruppe von Filmemachern (also die “Berliner Schule”) und man war zu der Zeit als sie passierte, dieser Strömung ausgeliefert- dieser kognitiven Dissonanz zwischen Theorie und Praxis. Zwischen Nimbus und tatsächlichem Inhalt, zwischen Theoriegeschwafel und unzureichendem filmischen Können.

Petzold und Konsorten liebten das Kino, oder gaben es vor, besonders Antonioni, besonders das französische Kino und so lieh ich mir guten Willens “Marseille” auf DVD aus- 4 Jahre nach “Die innere Sicherheit” , war Petzold immer noch alljährlich auf der Berlinale und Angela Schanelecs ödes Machwerk wurde landauf landab gelobt.

Das war also das Nonplusultra was an Karriere in Deutschland möglich war und womit Karriere in Deutschland möglich war. Jenseits von GZSZ und Til Schweiger etc.  

Wenn ich eine Pflanze bin, in welche Richtung soll ich wachsen? fragte ich mich. Es gab nichts. Keine Kultur. Keinen Bedarf, keinen Platz für mich. Ab und zu sah man natürlich einen Film, wo man gern mitgemacht hätte- aber wie denn? Wo denn? Der Film war ja schon abgedreht, die Finanzierung des nächsten ungewiss und was sollte ich machen: Ich kann doch nicht jahrelang an einem Drehbuch laborieren, dass dann keiner drehen will, dann keiner finanzieren will, dann findet man keinen Verleih, dann läuft er zwei Wochen im Kino und wenn man Glück hat, erbarmt sich jemand und presst den auf DVD und das wars und währenddessen rennt man jahrelang auf Filmparties und sorgt dafür, dass alle wissen, was für eine traurige Existenz man ist und alle sagen, schick mir gern dein Drehbuch und das wars dann. Und ich fand doch sowieso alle doof, ich hatte sowieso kein Langfilmdrehbuch in der Schublade, oder gar mehrere Exposés und wenn ich vor Antritt meiner Filmausbildung ständig Filmideen hatte, Langfilm, Kurzfilm, Serie, Werbung, und immer am Szenen schreiben und Filme sehen war- verband ich mit dem Metier nur noch Krampf. 

Und das sind falsche Denkmuster. Ich war komplett gehemmt und verschüchtert und wenn man einen Film machen will, oder ein Drehbuch schreiben, oder was auch immer, dann muss man den einfach machen und nicht darauf warten, dazu auserkoren zu werden. 

Aber ich war damals noch nicht so weit.

Überall Dodel und dazwischen ich. Es gab kein Ziel mehr für mich. Es gab kein was und kein mit wem. Also bis auf punktuelle Kooperationen … aber da kristallisierte sich nichts heraus. 

Es gab auch so ein krasses Ranking unter den Regiestudenten. Also innerhalb eines Jahrgangs bzw innerhalb des ganzen Studiengangs und das sortierte sich nach Optik und auch ganz stark nach Habitus. Die schönen Hetero- Jungs bildeten so eine Art “Club der toten Dichter”- man traf sich beispielsweise bei Sebastian, zum Wein trinken und Video gucken, ich wurde auch mal dazu geladen, sollte aber auch Filmideen mitbringen, Entwürfe aus meiner Schublade. Was ich tatsächlich tat. 

Er blätterte sie durch und vergab beim Überfliegen tatsächlich Bewertungen: gut, interessiert mich nicht, schlecht.

Kann das sein? War es wirklich so? Krass. Und welche Ideen überhaupt? Hatte ich da noch Ideen? 

War ich mit ihm allein in der Wohnung als das passierte? Ich hoffe es. Vermutlich ja. Danach überreichte Sebastian mir sein aktuelles Drehbuch zur Beurteilung, es war unsäglich, mir fehlten die Worte oder auch die Urteilskraft. 

Aber das sagte ich ihm nicht, sondern nur, dass ich den Schluss nicht verstehe.

Dann gab es die beiden Schweizer, die aus unermesslich reichen Familien stammen mussten- Cornelius und Cyril- ihre Filme waren grenzenlos frei, denen war wirklich alles egal, oder was war ihr Ansatz. 

Beim Betrachten verlor man jedes Zeitgefühl, waren zehn oder 20 Minuten vergangen, oder was ist Zeit überhaupt? Mit dem Zeitgefühl kam auch das Raumgefühl abhanden, was mich zum Kern der Sache bringt- es waren natürlich verfilmte Träume. Nein, nicht ganz, sondern es war ein Film nicht über den Traum, sondern es geht um das Gefühl während des Traumes. Der Traum spielt sich ab, aber im Betrachter, nicht auf der Leinwand. Wenn der Film vorbei ist, kommst du wieder zu dir, deine Augen waren offen, du bist nicht eingeschlafen, aber du weißt nicht mehr, was du gesehen hast und als dir das klar wird, ist schon verweht, woran du gedacht hast. 

Schwerer Samt, lila, über etwas drüber gehängt, was sich nicht identifizieren lässt, Die Kamera folgt einer Falte im Samt, ab und an wird das Bild unscharf, es dröhnt wie aus einem Maschinenraum, neongrüne Blitze zucken, hinterlassen ein Nachbild auf dem knittrigen Samt. Die Kamera nähert sich wieder der Falte, die Schärfe ändert sich, auf dem Samt liegt Staub, das Bild wird wieder scharf, jetzt sind wir ganz dicht dran am Stoff und… 

…so weiter. Radikal zusammenhanglos, verweigert sich Cyrils Film jeglichen Jeglichen.

Cyril war mit der schönsten und mondänsten der Schauspielschülerinnen zusammen. Die beiden waren der einzige mir bekannte Fall einer Liaison zwischen Regie und Schauspiel. 

Das lag auch daran, dass die Schauspielschüler, obwohl sie an einer Filmuniversität studierten, hauptsächlich fürs Theater ausgebildet wurden. Sie hatten von allen Studiengängen den dichtesten und strengsten Stundenplan, ihr Tag begann immer morgens um 8 und endete oft erst am späten Abend, wenn Abschlussvorsprechen bevorstanden, oder sie ein Szenenstudium hatten. Daher waren sie für studentische Filmprojekte nur in seltenen Glücksfällen verfügbar und konnten zum großen Kummer der Regiestudenten so gut wie nie für die Anfang der 2000er Jahre so beliebten Improvisationsfilme nach dem Vorbild von “Halbe Treppe”gewonnen werden. 

Jeder Regiestudent wollte sich damals für ein bis zwei Wochen oder länger mit Schauspielern und Team auf einem alten Bauernhof oder sonstwie entlegenem Grundstück einschließen und da frei improvisieren und Vertrauen aufbauen und intensive dramatische Situationen kreieren, aus denen sich dann die Geschichte entwickelt und wer weiß, in diesem freien Spiel, würde emotionale Nacktheit zu körperlicher Nacktheit führen und man käme mit einem radikalen Film zurück, einfach so, als Folge des sich gemeinsam darauf Einlassens.

Schauspiel und Regie an einem Institut, aber aufgrund eines uralten Geburtsfehlers, irregulierbar tief ins System eingeschrieben, kamen sie nicht zusammen, auch weil eine tiefe Feindschaft zwischen den jeweiligen Studiendekanen bestand. Alle waren mit der Situation unzufrieden, sie war ein steter Quell studentischen Kummers. Die Schauspielschüler wollten in Filmen mitspielen, die Regiestudenten erneuerten jedes Jahr vergeblich ihre konzertriert vorgetragenen Bitten um ausführlichere tiefgehendere regelmäßige Seminare für “Schauspielführung”. 

Cornelius’ Filme gingen in eine ähnliche Richtung wie Cyrils. 

VHS Aufnahmen von blühender Schafgarbe, Sonnenlicht und und und. Er erschien meistens in ruralen Strickjacken aus unbehandelter Schafwolle, trug Trachtenhosen und dicke handgestrickte Wollsocken und volkstümliche Bergbauernschuhe. Manchmal, nicht immer, verströmte er einen intensiven ländlichen Geruch. Er hatte auffallend schöne, große, himmelblau strahlende Augen und einen blondgraue Bartstoppeln und eine schöne eigenwillige Mähne. Er sprach ausschließlich Schwyzerdütsch, aber man hörte ihn selten sprechen. 

Was hatte ihn hierher verschlagen, in den Studiengang Regie, an der Filmuni Babelsberg?

Es gab auch weibliche Regiestudenten- auch hier fand sich die Abteilung der überdurchschnittlich schönen Frauen- gutes Aussehen war wohl eins der Aufnahmekriterien, jedenfalls für Bewerber im Studiengang Regie. 

Bei dreien handelte es sich um ehemalige, oder auch nebenberufliche Filmschauspielerinnen. Sie arbeiteten meist hart und konzentriert, waren viel weniger verträumt oder verwirrt, als ihre männlichen Kommilitonen. Neben der Schule drehten sie Musikvideos oder Werbefilme, oder spielten darin mit, oder organisierten Events und Filmfeste. Ihr Output war weniger experimentell, sondern entwickelte sich über eine alberne Zwischenstufe und einen trashy Zwischenschritt in eine stark kommerzielle und leider auch extrem konventionelle Richtung.

Dann gab es noch die genialen Lesben, die ähnlich wie die genialen Schwulen sich vom sensiblen Coming Out Film, erste Liebe im feindlichen Umfeld, verbotene Gefühle lassen sich in der Sommerhitze nicht mehr unterdrücken, offenes Ende, alles gesagt. 

Das nächste Projekt versucht sich in starker Ästhetisierung, aufgrund begrenzten Budgets kommen mehr oder weniger gekonnte Bastelideen zum Einsatz. Sei es Kopfschmuck, Kostüm, Kulisse – Handlung spielt im Tierreich, oder im freakigen Büro, metaphorisch gesehen, die Darsteller sind als Katzen, Hunde oder Bürohengste verkleidet, die Handlung ist eher ein Sketch, meist spielt der Regiestudent selbst mit, oder spielt sich selbst, in 50 Prozent der Fälle, wird er ab da in allen seinen Studentenfilmen mitspielen.  

Im dritten Semester landet die Gay Person einen Festival Hit, im vierten Jahr nehmen sie das Angebot einer namhaften Filmproduktionsfirma an, die Regie bei einem Kinofilm zu übernehmen, der wiederum erfolgreich ist und so geht es dann immer weiter und weiter.

Und manchmal fällt einem der Name ins Auge, beim Durchstöbern des Fernsehprogramms und dann ist das schon wieder ein Coming Of Age Drama oder was über arme Vorstadtkinder, aber nicht auf cool, mit Rappern, schnellen Autos, schönen Frauen und Drogen, sondern mit Sozialarbeiter und häuslicher Gewalt und Job in der Krankenpflege, ein zentrales visuelles Element sind nächtliche U- Bahnfahrten, der Protagonistin Britta P. und die Kamera ruht auf ihrem müden Gesicht, dieweil die Lichter reflektieren auf den dunklen Fensterscheiben im Tunnel, eindrucksvoll, poetisch! Ein kleines Filmkunstjuwel. Filmband in Bronze, Bundesverdienstkreuz, Uniprofessur.

Wer was auf ich hielt, war natürlich eiserner Christian Petzold Fan, wer da Einwände oder Unverständnis durchblicken ließ, machte sich unmöglich. 

Petzold polarisierte, Petzold ließ niemanden kalt, ob mich das nicht überzeuge, von der Güte seiner Kunst, wurde ich gefragt und ich gab vor, den Einwand zu bedenken. So ließ sich die Waffenruhe wieder herstellen und über Geschmack lässt sich nicht streiten. Mit diesen Floskeln deckelte ich meinen Unmut, was blieb mir anderes übrig.

Ich war inzwischen an dem Punkt, dass ich das Studium einfach nur noch durchziehen wollte, mich irgendwie durch den Sumpf in Richtung Abschluss hindurch kämpfen und weiter nichts.

Es gab im Kreise der Studenten natürlich auch einen harten Kern von überzeugten Petzoldt Hatern, das waren gar nicht mal so wenige und auch auf Filmparties outete man sich zu später Stunde manchmal recht vehement in diesem Sinne- aber das war nur ein schwacher Trost, es gibt in der Filmwelt, in der deutschen Filmkultur, Filmbranche keinen gesunden Menschenverstand, kein Maß, keinen Stil, es ist eine Ödnis zum Schaudern.

Die Petzoldt Feinde hassten natürlich neben Petzoldt, jegliches sogenanntes “Arthouse” Kino – also geil war nur “Der Pate” “Hangover2” “Stirb langsam” und dergleichen, aber Antonioni, Fellini, Tarkowski, Petzoldt, waren für die alles derselbe Brei. Langweilig, trötete man, abgehobener unverständlicher prätentiöser Scheiß. Alexander Kluge, Godard, Straub- Huillet.

Also wie soll man in einem solchen Umfeld Filme machen, dem jegliche Begrifflichkeiten und Maßstäbe fehlen. 

Ich habs gemacht und bin gescheitert, andererseits aber auch nicht, sondern mein Film ist ein erratischer Monolith und formal und technisch gekonnt und kompromisslos durchgezogen- alle Aspekte- Licht, Schauspiel, Kameraführung, Kulisse, Kadrage, Musik, Sound, Ton- auf ganz hohem Niveau. An jeder normalen Filmhochschule hätte man mich aufgrund dieses Films als Talent erkannt und mich gefördert. 

Aber die Projektion verlief folgenlos. Meine Kommilitonen erkannten nicht, was mir gelungen war. Mein Clip war abgeschmiert zwischen seichten Sketchen, ungekonntem Horrorquatsch und extrem peinlichem Gayfühlsnarzissmus. 

Mein Film war besser als alles von der Konkurrenz, aber nur zweieinhalb Minuten lang. Ich hatte mein Werk auf Festivals einschicken wollen, aber es war ja kein richtiger Film, nur eine Etüde, bisschen überkandidelt einerseits, andererseits aber zu abstrakt. 

Aber trotzdem. Ich habe Drehbuch studiert und ich war besser als alles von der Konkurrenz, besser und interessanter, aber ich kam mit meinen Stoffen gar nicht durch und zu wem denn auch, da war keiner. 

Aber das war lange her. 

Ich wurschtelte mich durch, bekam Kinder, jobbte, bloggte, zeichnete, schrieb und 2014  wurde ich entdeckt und zugleich in eine Nische geschoben- das Ebook einer Bloggerin- welches wegen der Flüchtlingskrise vom Zentrum an den Rand gespült wurde.

Aber trotzdem hatte ich dadurch eine Agentin gefunden. 

Über Annabelle lernte ich Dima kennen.

Dimas Romandebüt war gerade erschienen. Die Story handelte vom Aufwachsen als Russlanddeutscher im Plattenbau am Rande einer westdeutschen Kleinstadt.

Und die Helene Hegemann war doch auch aus dem Plattenbaughetto nach Berlin gekommen, übrigens.

Das war natürlich kein Zuckerschlecken gewesen und es hatte Dima geprägt und jetzt hatte er ein Buch draus gemacht, und im Rolling Stone stand über ihn: “Heißester Debütant des Jahres”.

Und Dima war sauer, Dima war dauersauer und diese Wut hatte ihn dazu getrieben, sein Buch zu schreiben und diese Wut hatte ihn hierher gebracht, raus aus dem Ghetto, in die Hauptstadt.

Ich habe sein Buch nicht gelesen, weil ich bei Dimas Lesung war und ich damals genau wie heute weiß, was in diesen Büchern steht, wie Mutter schuftet und der Vater säuft, oder umgekehrt und wie der Junge schon in frühester Kindheit mitansehen muss, wie sein Vater gedemütigt wird, vom Scheißdeutschenstaat, und jeden Tag passiert ein Scheiß nach dem anderen und das hart rausgeballert, bisschen plump, bisschen Bukowski. 

Ein kluger Kerl, der Dima, gutes Gesicht. Hoffentlich schafft er es raus aus der Wut und was kommt dann? Was schreibt er als Nächstes? fragte ich mich 2014. 

Dima war er nach Berlin gezogen, sein Roman hatte es in die Welt geschafft und man hatte ihn im Radio Fritz erwähnt und wer weiß, wo das hinführte und ob.

Wiir waren an einem ähnlichen Punkt, als wir aufeinandertrafen. 

Dima war der erste echte Schriftsteller, dem ich begegnete- also ein Schriftsteller, der Literatur erschaffen hatte, einen richtigen Roman, mindestens 100 oder mehr Seiten zusammenhängenden Text. 

Ich sah quasi automatisch zu ihm auf. Gegen ihn war mein Output erbärmlich. 93 Seiten rein elektronische Kurztexte! 

Ich weiß nicht, ob es ein passendes Sprichwort gibt, was Literatur betrifft. 

In der Filmbranche sagt man, den ersten Film bekommt man leicht finanziert, jeder will sich damit schmücken, jemandes “Debüt” zu produzieren. Man bekommt dafür leichter Filmförderung- für Debüts gibt es in allen öffentlich- rechtlichen Regionalanstalten spezielle Töpfe und außerdem sind Debütregisseure billig zu haben, weil dankbar für die Chance und leichter unter Druck zu setzen und das Team arbeitet oft auch für wenig Geld und wenn das Debüt erscheint, bekommt man leicht und schneller die Aufmerksamkeit der Presse. Weil ja jeder gern was Neues, Tolles entdecken will. So sagte man jedenfalls und das Schlimmste, sei der der zweite Film. Unüberwindbar die Hürden, wenn das Debüt kein Überraschungserfolg war und selbst dann, ist das keine Garantie für Arbeitsangebote. Es gibt hochbegabte Regisseure, die fantastische Debütfilme gemacht haben und dann hat man aber bestimmt 5,6 Jahre nichts mehr von denen gehört. 

Mein Ebook hatte mir den Vertrag mit Annabel gebracht und sie mochte mein Romanexposé und will auf der Buchmesse versuchen, das Projekt bei einem Verlag unterzubringen, aber eigentlich will ich lieber bloggen, als diesen Roman schreiben, gestand ich Dima, und wieso versucht meine Agentin, mich zu zwingen, diesen Roman zu schreiben, anstatt meine Storys an den Mann zu bringen. Ich will Begeisterung, statt Bedenken und findet sie mich jetzt gut, oder nicht, oder will sie es sich einfach machen. 

Ich war sauer, hatte mich in Rage geredet. 

Erst das Ebook beim Kleinverlag, kaum Presse, kein Wort bei Fritz, kein Echo bei Radio1 und alle wollen einen Roman von mir, aber ich will bloggen, ich will einfach nur weiter meine kleinen fiesen Texte schreiben.

Er antwortete:

“Hau die nicht immer gleich raus.”

Er meinte, ich soll all meine kurzen Texte sammeln und die in einen Langen tun und davon Schreibeier bzw. Schreiblippen bekommen. 

“Du hast so viel kreative Energie, du schreibst und zeichnest andauernd. Du darfst das nicht nicht in Umsonst Texte vergeuden, sondern die sammeln und daraus den Roman machen und dann kannst du dich etablieren.” 

Aber das klappt nicht, denn ich bin ja leider nicht aus dem Plattenbaughetto nach Berlin gekommen, sondern ich bin aus Berlin und auch nicht im Ghetto aufgewachsen. Ich komm aus keinem Ghetto, bin aber trotzdem nie aus dem Ghetto rausgekommen- wie kann das sein 🙂 ?

Kein Witz.

1 Kommentar

Kommentieren

Kommentar verfassen