FRAUEN HABEN KEINE GROUPIES

Als wir letztens alle bei mir zusammen saßen – Mutter, meine Schwester, der Flo und ich – hatte sich das Gespräch der aktuellen Rammstein- Situation zugewandt.

Natürlich erst, nachdem Mutter mit Flos Kreuzverhör fertig war. 

In raschem Stakkato hatte sie dem Flo sofort nach seiner Ankunft eine Frage nach der anderen gestellt.

Was er arbeitet, wo er arbeitet, woran er arbeitet, wann und wo seine nächste Ausstellung stattfindet, ob man davon leben kann, wann er aus seinem Atelier raus muss und warum und wie lange er dort war und wo das war und ob er schon was Neues hat und wo das ist und bis wann er umziehen muss und ob er das bis dahin schafft und wieviel Miete das kostet und wie lange man braucht, bis man da ist und ob er da dann auch den Garten mitbenutzen kann und ob der groß ist und ob man da in der Nähe baden gehen kann und wie weit es von da bis zum See ist und ob er auch den Pool benutzen darf und wie groß der Pool ist und was er alles machen muss, um die Scheune so nutzen zu können, wie er sich das vorstellt und wie er sich das überhaupt vorstellt und ob das auch mit dem Besitzer vom Grundstück abgesprochen ist und wie lange er dort bleiben kann und ob der Besitzer ihn wirklich nicht von jetzt auf gleich rausschmeißen könnte, falls da was schiefgeht und ob seine Sachen da sicher sind und ob er die Scheune abschließen kann, wenn er mal nicht da ist und ob er eigentlich dort leben will und ob er Fotos von dem Objekt auf dem Handy hat und er ihr die jetzt gleich zeigen könnte und wie lange er glaubt, dass es dauern wird, bis er die Scheune benutzen kann und ob die wasserdicht ist und ob er sich da eine Küche reinbaut und ob es da Elektrizität gibt und ob die Spannung überhaupt ausreicht und wenn er auf Toilette muss, also groß, ob er sich da ein Plumpsklo hinstellt oder jedes Mal ins Haupthaus muss und wie er überhaupt da ran gekommen ist. Ob der Grundstücksbesitzer ein Freund von ihm sei und ob der immer dort wohnt und woher er den kennt und ob er keine Angst hat, sich mit dem zu verkrachen und ob man da grillen kann und ob der Vertrag schon unterschrieben wurde, bzw. es überhaupt einen geben wird und ob er plant dann jeden Tag dort zu sein, wenn es so weit ist und ab wann und ob er da übernachten kann, bzw. wieviel Leute dort übernachten können. 

Ich hatte mich derweil in ein Loch verkrochen und mich anschließend in die Küche begeben, wo sich ein extra für diese Zwecke angeschaffter Haufen Sand befand, in den ich meinen Kopf sehr lange und sehr tief hinein steckte. 

Weil sie danach immer noch nicht mit der Fragerei fertig war, vertrieb ich mir anschließend die Zeit damit, erst aus aus der Haut zu fahren und dann die Wände hochzugehen. 

Als ich ganz oben an der Decke war, sagte Mutter mit fröhlich funkelnden Augen zum Flo:

“Ja und dann kommen wir alle dorthin.”  

“MAMA!!!!!” schrie ich und versank im Boden. 

Als ich mich wieder ins Freie traute, ging es um Rammstein:

“Frauen haben keine Groupies, sagt eine Wissenschaftlerin, habe ich gelesen.” sagte meine Schwester.

“Man kann doch einfach gehen, wenn einem was nicht passt.” sagte Mutter.

“Das könnte schwierig sein, falls es stimmt, was behauptet wird und der Till denen wirklich K.O. Tropfen verabreicht hat.” sagte ich.

“Ich meine das im Ernst, wie kann man sich denn als erwachsene Frau in so eine Lage bringen? Man spürt doch, wenn was nicht stimmt und dann geht man. Ich verstehe nicht, warum man dann nicht einfach geht.” sagte Mutter.

“Ich weiß, die Ruth hört das ungern, aber ich hatte ja schon ein paar Freundinnen vor ihr und deswegen weiß ich, dass jede Zweite Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht hat.”

sagte der Flo und zog ein megaernstes Schnütchen.

“Was? Wieso denn auf einmal jede Zweite? Neulich meintest du doch noch, jede Dritte!!!” 

sagte ich und spürte eine Ohnmacht nahen. 

Um mich zu beruhigen, krallte ich mich an seinem Oberschenkel fest, befühlte seine Muskeln unter dem weichen Stoff seiner verwaschenen Levis- Jeans. 

Nach einer Weile ergriff der Flo meine Hand und hielt sie fest und wir schlangen unsere Finger miteinander.

“Aaaaaaahhh schöööööööön….Händchenhalten…lieb zueinander sein… besser gehts doch gar nicht.” dachte ich.

„Jede ZWEITE, Rutheschnute.“ sagte der Flo.  

„JEDE.” sagte ich und verlor das Bewusstsein. 

Als ich wieder zu mir kam, sagte ich zu meiner Schwester:

“Dass Frauen keine Groupies haben können, ist doch Quatsch. Ich weiß, der Flo hört das nicht so gern, aber bevor er mir in den Pelz gesprungen ist, hatte ich reihenweise Groupies.” 

“Ich muss mal kurz telefonieren” sagte der Flo, griff nach seinem Handy und ging raus.

„Nein, Frauen können keine Groupies haben, hat die Wissenschaftlerin gesagt, hab ich gelesen und das hat mich überzeugt.“ sagte meine Schwester.

“Welche Wissenschaftlerin hat das gesagt? Mit welcher Begründung? Wo hast du das gelesen?” fragte ich.

Meine Schwester zuckte die Achseln. 

“Weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass ich das gelesen habe und fand, dass sie recht hat. Frauen haben keine Groupies, weil Groupies sind mehr so ein Männerding.” sagte meine Schwester.

„Jeder kann Groupies haben.“ sagte Mutter.

„Aber ich verstehe nicht, wieso man als erwachsener Mensch nicht einfach geht, wenn einem was nicht passt.“

„Ich finde die Musik von Rammstein ja nicht so toll. Total primitiver Nazikram.“ 

sagte meine Schwester.

Der Flo kam zurück zu mir aufs Sofa.

„Also der Flake ist ja ein total witziger Typ. Der hat mal schräg gegenüber von mir gewohnt.“

sagte der Flo.

„Ich hab mir jetzt auch mal die Videos von denen angesehen. Die sind ja mehr als grenzwertig, also ich finde das nicht überraschend, was gerade rausgekommen ist. Frauen sind anders. Frauen können keine Groupies haben. Das ist wissenschaftlich eindeutig belegt.“

sagte meine Schwester.

“Der Flake ist total sweet. Ich glaube, der wohnt immer noch da. Neulich oder letztes Jahr irgendwann bin ich mal wieder in ihn reingelaufen. ´Ey Flo, wie geil. Du hast dich gar nicht verändert´, meinte er. ´Danke, du dich aber auch nicht, Flake´ meinte ich. Wenn ich ihn das nächste Mal treffe, stelle ich ihn dir vor, Rutheschnute.”

sagte der Flo.

“Wenn sich zwei Leute lange nicht gesehen haben und die sagen dann als erstes zueinander: ´Mann, dich habe ich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.´- Also dann weiß man, dass man alt geworden ist und inzwischen auch so aussieht.” sagte Mutter.

“Ja, wenn man sich jeden Tag sieht, dann kriegt man das nicht so mit.” sagte meine Schwester.

„Frauen können natürlich Groupies haben.“ sagte ich und fuhr fort:

“Ich bin zwar kein weltbekannter Rockstar wie der Till, sondern nur eine einfache kleine heiße Sonne von nebenan. Ein Minirockstar, aber trotzdem. Vor Flo habe ich mich JEDERZEIT von willigen Fans befriedigen lassen können. Vorher, nachher, mittendrin, drei Tage später oder sieben Tage früher. So ist das Leben. So ist die Welt. Ein einziges Groupiegewimmel. Eine endlose Reihe von Enttäuschungen. 

Du fühlst dich einsam nach der Show, bist kurz davor in ein Loch zu fallen, aber dann ist plötzlich jemand da und sagt, er sei dein größter Fan aller Zeiten und: Leg dich hin Hübsche, ich werde jetzt ganz lieb mit dir sein, das hast du dir verdient. 

Du freust dich, lässt dich fallen, weil Kommen gut ist zum Runterkommen. Danach schläfst du zufrieden ein, denkst alles ist ok. Aber sowie du aufwachst, geht das Theater los. Sie wollen, dass du sie für ihre Bemühungen bezahlst. Sie wollen dein Geld, deine Kontakte, deine Expertise. Plötzlich behauptet das Groupie auch Künstler zu sein und will, dass du ihm hilfst. Du sollst ihm irgendwie Türen öffnen und dann findest du heraus, dass es überall herumtratscht, dass du dich von ihm hast knallen lassen. Du wolltest Wärme und stattdessen bekommst du Reibereien.

Das Groupie will dich gnadenlos für seine Zwecke instrumentalisieren und wehe du sagst nein.  

Dann findest du dich wenig später vor aller Welt bloßgestellt. Keine Lüge ist ihnen zu dreist, keine Story über dich zu unglaubwürdig. 

Es war nicht ok, es war K.O.! krakeelen sie herum und als hätten sie jahrelang darauf gewartet, kommen sie nun alle aus allen Ecken gekrochen. Jeder aus dieser erbärmlichen Meute will jetzt sein Stück vom Kuchen abhaben und der Kuchen bist Du.

Aber Du wärst nicht Du, wenn Dich das jetzt aus der Bahn werfen würde. Deswegen bist du der Star und sind sie Groupies. Weswegen du dich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Du machst einfach weiter wie immer und folgst deinen eigenen Regeln:

Contenance bewahren. Fokussiert bleiben. Offen bleiben. Verletzlich bleiben. Sich selbst vertrauen um jeden Preis. 

Ich beschritt den Weg des Künstlers, weil ich nicht Teil der Meute sein wollte.

Bin Wirt, nicht Virus, bin Darm, nicht Darmbakterie, bin Eiche, nicht Mistel, bin Wildsau, nicht Zecke, bin Pelz, nicht Floh, bin Kopf, nicht Laus.

La bave du crapaud n’atteint pas la colombe blanche.”

sagte ich.

„Man muss doch wissen, worauf man sich einlässt. Ich verstehe wirklich nicht, wieso sich junge Frauen sowas gefallen lassen. Und dann hinterher jammern. Wie kann das sein? So habe ich euch nicht erzogen.“

sagte Mutter.

„Jede ZWEITE.“ sagte der Flo.

„Ein Fingerschnipsen genügt und die komplette Row Zero würde instantly vor mir auf die Knie gehen. Whenever, wherever. Ich bin nicht mehr scharf drauf, aber was willst du machen, so ist das System. Meine wahren Fans kennen die Wahrheit, alle anderen können nichts verstehen, weil sie nichts verstehen wollen.” 

sagte ich.

Meine Schwester schüttelte den Kopf. Sie sagte:

“Frauen haben keine Groupies, hat die Wissenschaftlerin gesagt, habe ich gelesen.”

“Jede Zweite hat Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht.” sagte der Flo. 

“Klar will man als Fan seinem Star nahekommen. Aber doch nicht SO nahe. Wozu soll das gut sein? Und wenn doch. Dann sollte man sich hinterher nicht darüber beschweren.“ sagte Mutter.

“Der Till Lindemann hat doch auch so Gedichte geschrieben, wusstet ihr das? Da soll ja im Grunde schon ganz eindeutig drinstehen, wie der so tickt.”

sagte meine Schwester.

Erst wenn die Wolken schlafen gehn, kann man uns am Himmel sehn. Wir haben Angst und sind allein. Gott weiß, ich will kein Engel sein.

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