Ich sitze im Parkett.
Auf der Bühne steht ein ehemaliger Tatort- Kommissar und spielt eine Rolle. Er spielt und tut so, als wäre nichts gewesen, als hätte das ganze Tatort- Kommissar- Ding niemals stattgefunden.
Das ist der Vorteil, den man als Schauspieler hat. Wenn der Vorhang aufgeht, kann man so tun, als wäre man nur die Rolle und weiter nichts.
Als gäbe es einen außerhalb dessen nicht. Als hätte man nie eine andere Rolle gespielt und außerdem, als spiele man gar keine Rolle.
Man ist einfach das, was man in diesem Moment ist, ohne Vorher und ohne Nachher.
Im Leben geht das nicht. Man setzt sich zusammen, aus dem was man war und der Hoffnung auf das, was aus einem wird.
Und wenn man nicht aufpasst und das geht schnell, (mit zunehmendem Alter erst recht), ist man nur noch das, was man einmal war und weiter wird man nichts.
Wenn man nur noch das ist, was man einmal war, dauert es auch nicht mehr lange, bis die Sache vorbei ist und der Vorhang fällt.
Im Theater gibt es übrigens mittlerweile oft gar keinen Vorhang mehr. Oder nur noch selten, oder nur noch ironisch.
Auch das Licht im Zuschauerraum geht immer seltener aus.
Wenn man den Zuschauerraum betritt, läuft die Musik schon. Manchmal stehen auch die Schauspieler schon da und wenn absehbar ist, dass das Publikum mehr oder weniger vollzählig versammelt ist, dann geht das Stück einfach so irgendwie los.
Man merkt es nur daran, dass das Publikum jetzt leise ist und die Schauspieler laut. Es ist also häufig nur eine akustische Verschiebung, die den Unterschied zwischen Theaterstück und echtem Leben macht.
Aber das sind Spitzfindigkeiten, die nichts zur Sache tun.
Ich sitze im Parkett und der ehemalige Tatort- Kommissar steht da und spielt, als wäre er nie Tatort- Kommissar gewesen. Dabei war er bis vor Kurzem sogar noch mit einer aktuellen Tatort- Kommissarin zusammen und auch seine Mitspielerin auf der Bühne, war mal Tatort- Kommissarin, fällt mir jetzt ein.
Ich kann nicht aufhören, daran zu denken, dass er so tut, als wäre er nie Tatort- Kommissar gewesen, wenn ich den Tatort- Kommissar so meisterhaft wie immer, seine Rolle spielen sehe.
Obwohl ich in meinem Leben allerhöchstens fünf Tatorte gesehen habe und davon keinen mit ihm, keinen mit seiner Ex, keinen mit seiner Kollegin, sondern drei mit George Schimanski und einen mit meinem Ex und George Schimanski und noch irgendeinen.
Ich kann nicht mehr abstrahieren.
Ich kann nicht mehr im Theater sitzen und den ehemaligen Tatort- Kommissar eine Rolle spielen sehen, ohne daran zu denken, dass er mal Tatort- Kommissar war.
Und weil ich ihn im Laufe meines Lebens schon so oft auf der Bühne gesehen habe und ich sogar mit Leuten verwandt oder befreundet bin, die ihn kennen, kann ich ihn nicht sehen und seine Mitspielerin auch nicht, aus ähnlichen Gründen, ohne ihn (oder sie) in weitere Zusammenhänge zu bringen, obwohl weitere Zusammenhänge überhaupt nicht nötig sind und nichts zur Sache tun und als ob ich nicht sowieso schon genug mit mir und meinen Zusammenhängen zu tun hätte.
Er steht da und ist nur seine Rolle und weiter nichts und da fällt er auch nicht raus und wenn, dann mit Absicht, aber ich bin nur ich und weiter nichts und da komme ich auch nicht raus und wenn, dann mit Absicht.
Ich kann nicht mehr abstrahieren.
Ich bin schon jetzt wie meine Oma, die sich als überzeugte Kommunistin, keine Folge meiner geliebten Serien: Dallas, Hart aber herzlich, Magnum, Colt Sievers, Unsere kleine Farm, der Denver- Clan oder Miami Vice und auch keinen einzigen amerikanischen Film mit mir ansehen konnte, ohne nach wenigen Minuten zu sagen: “Amerikanischer Dreck.” und dann musste umgeschaltet werden.
Es ging nicht anders. Sie ertrug diesen ganzen Müll einfach nicht.
Sie konnte nicht mehr abstrahieren.
Ab dem Moment, als das Stück losgeht und der ehemalige Tatort- Kommissar und die ehemalige Tatort- Kommissarin ihre Texte aufsagen, als wäre nichts gewesen und als gäbe es sie nicht, außerhalb ihrer Rollen und als würden sie keine Rollen spielen, will ich nur noch raus aus dem Saal.
Sie machen das ganz bezaubernd und sind schön wie eh und je und es ist also nicht ihre Schuld, dass ich gleich wieder hinausrennen will.
Es ist der Neid. Weil die ihren witzigen Text haben und ihre witzigen Kostüme und da stehen und ihre Rollen spielen, als wäre nichts gewesen, als gäbe es sie nicht, außerhalb ihrer Rollen.
Die sind ewig jung und ich aber nicht.
Ich bin alt und setze mich einfach nur noch aus dem zusammen, was ich war.
Ich bin, was ich war und weiter nichts und werden tu ich auch nichts mehr, rede ich mir ein.
Und darum zerfrisst mich angesichts der Tatort- Kommissare, die so spielen, als wären sie nur das, was sie hier und jetzt auf dieser Bühne sind und weiter nichts, erst Neid und dann unerträgliches Selbstmitleid, wie Rost.
“Ich bin nur ich. Und ich spiele keine Rolle und werde es auch niemals tun.”
heult mir eine widerlich- weinerliche innere Stimme ins Ohr.
“Und das ganz ohne jemals Tatort- Kommissarin gewesen zu sein.”
“Wie fandest Du es?” werde ich danach gefragt.
Sehr gut. Aber mich nicht.
2 Kommentare
KommentierenAbsolut supertext! Danke Ruth! Ich erlebe es auch so, immer wenn ich Tatortkommissare was anderes spielen seh. Und diese ich bin alt-Gefühle kommen jährlich bei sinkendem Sonnenstand. Es ist physiologisch… Dagegen helfen Sonne – nur noch heute in Berlin – und Vitamin D. Trotz solcher Missgefühle wirst Du bzw. Deine Texte immer besser – obwohl Du schon umwerfend gut schreibst, ist keine Stagnation absehbar, die ja oft aus Selbstzufriedenheit erwächst. Ich habs dieses Jahr nicht geschafft, mit Deiner Produktion Schritt zu halten, werde aber den Winter der Nachlese widmen. Wähl schön!
Anfangs etwas verwirrend. Aber ich verstehe den Punkt nachdem ich 2 3 mal gelesen habe hehe