Warum auch immer, neulich habe ich es wieder getan. Ich habe mir den Film “Solo Sunny” angeschaut. Alle paar Jahre kommt der mir unter und dann sehe ich ihn, weil der ja auch Preise bekommen hat und als gut gilt in der offiziellen Welt. Und deswegen sehe ich mir den immer wieder an, aus Geschichtsbewusstsein und aus beruflichem Filminteresse und um das zu prüfen ob der Film gut ist oder wie ich den finde und ich denke dann aber immer:
Nee so gut ist der nicht, aber trotzdem irgendwie charmant, weil die Renate Krössner halt so gut spielt. Aber abgesehen davon, wirkt der Film so ungelenk vergleichsweise. In Sachen Kunst ist da massig Luft nach oben.
Weil wirklich gnadenlos schlecht geschrieben und schlecht geschnitten, aber die Krössner rettet den und man bleibt hängen, weil man denkt die ist ja auch so wie “Solo Sunny” also was für ein verschwendetes eingesperrtes Talent und deswegen wird man empathisch beim Sehen, was den Film dann doch wieder gut macht, weil das ist ja die halbe Miete oder sogar die ganze, wenn der Zuschauer Empathie für die Hauptfigur empfindet.
Also die Renate Krössner hätte ja ein Weltstar sein können, so wie sie spielt, wenn sie nicht leider in der DDR gelebt hätte. Sie hat sowas marylinmonroehaftes. Sowas Verletzliches, Verlorenes und sie ist so krass begabt, also sie spielt das nicht, sie ist wirklich diese “Solo Sunny”, ein Genie in einer zu engen Welt, der kleinen engen doofen DDR nämlich und dann dachte ich auch beim Sehen:
Krass, dass die diesen Film überhaupt erlaubt haben. Aber andererseits ist der Film auch komplett daneben und total verlogen. Weswegen sie ihn wohl auch erlaubt haben.
Jedenfalls hatte ich ganz viele Gedanken beim Sehen, also eigentlich mal wieder viel zu viele. Das ist mein Schicksal, weswegen ich aus Sicherheitsgründen auch nur ganz wenig sehe, weil sonst ratterts wieder zu viel im Oberstübchen, weil ich nämlich komplett delulu bin. Das ist ein neues Jugendwort, habe ich von meiner Tochter gelernt, die das von Tiktok hat. “Delulu” kommt von “delusional” also von wahnhaft, also davon dass Leute sich zu sehr in was reinsteigern und in einer Traumwelt leben und das trifft ja wohl komplett auf mich zu und wer mich kennt, weiß Bescheid, aber mich kennt ja niemand, weil ich ja keine Freunde habe und keiner mich anruft, was auch ok für mich ist, sogar besser so, weil ich mich schützen muss, weil mir alles zu viel und zu anstrengend ist und ich mich deswegen abschotten muss.
Weil ich nämlich hochsensibel bin und deswegen keine Filter habe, gegen äußere Reize und ich da auf mich achten muss.
Ich weiß dass, denn ich habe gerade ein Buch über Hochsensibilität gelesen und mich da komplett drin wiedererkannt endlich und endlich die endgültige Diagnose für mich gefunden und ich weiß jetzt auch, wer noch alles hochsensibel ist in meinem Umfeld und ich denke da schon wieder viel zu viel drüber nach, woran man mal wieder sehen kann, dass ich sogar dafür zu hochsensibel bin, um ein Buch über Hochsensibilität zu lesen.
Weil ich nämlich nicht nur hochsensibel bin, sondern hoch hochsensibel. Aber wenigstens weiß ich jetzt Bescheid und verstehe mich besser.
Also, warum es mir auch so schwerfällt, das zu akzeptieren, dass ich mich abschotten muss und warum ich mich eigentlich auch nicht abschotten will und ich auch darunter leide, wenn zu wenig los ist, genauso wie ich darunter leide, wenn zu viel los ist und warum ich da selten das richtige Maß finden kann und warum es mich auch nervt und anstrengt, also alles überhaupt alles mich manchmal extrem nervt und anstrengt.
Weil es eben anstrengend ist, wenn man nicht einfach so losballern kann und volle Kraft voraus ins hundert prozent Risiko reinleben kann, sondern man aufgrund von hoch Hochsensibilität ständig darauf achten muss, das richtige Maß zu finden, denn als hochsensible Person verbraucht man schon im Alltag viel mehr Energie als weniger Hochsensible, weil man alles viel mehr fühlt und spürt und man auf alles viel stärker reagiert und das kostet eben Kraft und darum brauche ich so viel Ruhe und Schlaf und auch das Aufpassen die ganze Zeit, das Aufpassen um das richtige Maß zu finden, das kostet auch Kraft, das habe ich jetzt durch das Buch über Hochsensibilität gelernt.
Aber wenigstens verstehe ich jetzt endlich mal was los ist.
Also dass ich nicht faul oder asozial oder einfach nur komplett gestört bin, sondern halt hochsensibel. Und als Hochsensible, das kommt ja noch dazu, WILL ich mich aber nicht abschotten, sondern das Leben mit allen Sinnen genießen und so ist mein Alltag eben ein ständiger Balanceakt zwischen Abschottung und Overkill.
Es ist eben einfach so.
Also ich denke dann eben drei Tage über Solo Sunny nach und mache mir Notizen und denke, eigentlich müsste ich mir so einen Filmklub suchen um mich dann mit Gleichgesinnten austauschen zu können, denn wer hat denn in meinem Umfeld diesen Film auf dem Schirm und wer würde sich so krankhaft interessiert damit befassen wollen, und wohin also dann mit diesen ganzen Gedanken. Aber dann kämen halt noch die wildfremden Gleichgesinnten dazu und deren womöglich konträre Einzelmeinungen und wohin dann mit dem ganzen Material.
Und dann habe ich noch gedacht, hat sich schon mal ein Kulturwissenschaftler damit befasst, dass in der untergehenden DDR, diese 20er Jahre Ästhetik so abgefeiert wurde.
Und ist das Abfeiern von 20er Jahre Ästhetik ein Zeichen des Untergangs einer Gesellschaft, so wie auch die 20er Jahre itself schon als Tanz auf dem Vulkan galten, also als das letzte bisschen Spaß vor dem Weltuntergang.
Also, wenn die SoloSunny singt, dann hat sie so ein irgendwie 20ger Jahre mäßiges Bühnenkostüm an und so eine Art Strumpfhose mit Glitzer auf dem Kopf, so eine Art Varieté- Kappe und diese und auch ihre Künstlertruppe scheint kostümmäßig und auch von den Inhalten her irgendwie an “Cabaret” angelehnt zu sein. Also mit weißgeschminktem “Conferencièr” und Artisten am Trapez.
Also woher kommt das, jedenfalls setzte es sich in der DDR Fernsehunterhaltung aber auch im DDR Underground auf allen Ebenen fort, dieses hohle Abfeiern des 20er Vibes.
Und das bis heute gewissermaßen. Also ich erkenne da eine Linie von “Solo Sunny” bis zum Fernsehballett des Friedrichstadtpalast bis hin zum “Chamäleon” Variete am Hackeschen Markt nach der Wende bis hin zu Wim Wenders “Himmel über Berlin” bis heutzutage hin zu Leuten auf Festivals die sich mit Glitzer bemalen und mit Konfetti überschütten und Netzstrumpfhosen anziehen, bis hin zum Erfolg einer Serie wie “Berlin-Babylon” und auch die sich burlesk gebende Swingerclub und Polyamorie- Spießer- Sexszene der Jetztzeit mit ihren Pailletten und Federkostümen und die seit Jahrzehnten en vogue seienden 20er Jahre Parties.
Kommt das im Grunde nicht alles aus dem Osten, von einer SED kulturpolitisch verordneten, tolerierten “Brot und Spiele” Untergangskultur her, die auch in den 80er Jahren seltsame Fernsehprogramme wie “Erotisches zur Nacht” zur Mitternachtsstunde im DDR Fernsehen generierte, so schwüle venezianische Fantasien mit Strumpfbändern und Korsetts und Kurtisanen und Mätressen und dergleichen und ihren weißgeschminkten Galanen mit Perücken und Schönheitsflecken und dergleichen drum und dran? Also diese ganze Dekadenzschiene mit Quasten auf den Nippeln und olàla und Cancan und Boudoir und Freudenmädchensalon ist und bleibt systemerhaltende Maßnahme und ich fände das spannend, wenn ein Kulturwissenschaftler das mal irgendwie aufbereiten würde.
5 Kommentare
KommentierenToller Text. Bin zwar kein Kultur Wissenschaftler, aber viel anders ists heute auch nicht. In der Zone gabs schlüpfrige Filmchen um das Volk bei Laune zu halten und heute sucht man den Superstar oder das Supertalent. Also alles super.
Aber der Film Solo Sunny ist echt toll und eher eine Geschichte einer Frau die Sie selbst sein will in einer Gesellschaft wo so was nicht möglich oder schwer möglich war. Spießer hätten Sie oder Ihr Tingeltangelleben wohl als asozial bezeichnet. Ich find den Film und das Milieu eher punkig und es gab ne Menge Leute in der Zone die so leben wollten, sich verwirklichen wollten, wie die Sunny, es aber nicht konnten. Der Konrad Wolf hats da echt geschafft so nen Film an den Zensoren vorbei zu schmuggeln, das war schon mutig. Na und die Krößnersche erst!!!!
naja ich finde die darstellung ihres tingeltangellebens recht platt und spießig, also leider weder gut geschrieben, noch inszeniert. also schon sehr mainstream dargestellt. da wäre mehr möglich gewesen. zumal es sich ja auch nicht um explizite Systemkritik handelt, der Film könnte ja überall in der Provinz spielen, auch in Westdeutschland oder in Frankreich. Außerdem wird sie vom Drehbuch als naives unverdorbenes Dummchen beschrieben, weder dazu in der Lage ihre eigenen Songtexte zu schreiben, noch dazu, ihre Lage irgendwie aktiv oder kreativ zu verbessern. Lediglich einen kessen Spruch ab und zu gesteht man ihr zu. Ähnlich eindimensional sind die Männerrollen geschrieben, beinahe schon als Karikaturen angelegt, Schnösel, Simpel, Säufer. Was den Film rettet ist, dass die Krössner es schafft, die Rolle mit Mehrdimensionalität und Leben zu füllen, against all odds. In dem was ich zur Ästhetik schrieb, hast du mich wohl falsch verstanden. Weder setze ich „Solo Sunny“ mit den Softerotikfilmen im Nachtprogramm der späten DDR gleich und ich sage auch nicht, dass es heute sehr viel anders ist, als damals. Sondern ich sage, dass ich da Parallelen sehe, zwischen der Ästhetik des Bühnenprogramms von Solo Sunny und ihren Kollegen- also nicht der des Films, sondern ihrer Show im Film. Die eben so 20er Jahre mäßig angehaucht ist und ich würde mich freuen, wenn jemand dem mal nachgehen würde, warum und ob und wie diese Ästhetik sich im Osten verbreitete und in Richtung Burleske und Zirkus und Strumpfband, Quasten, venezianische Masken entwickelte und inwieweit da ein Bar25 und Katerholzig Kitsch seinen Ursprung hat. Aber du musst auch nicht verstehen, was ich meine, ist ja auch schön, wenn du meinen Text trotzdem toll findest 🙂
Ich weiß, dass ich das Beste an dem Film ‚Solo Sunny‘ damals den Titel fand. Klang so nach weiter Welt. Fällt mir ein, gibt es ‚Solo‘ eigentlich als Namen? Könnte so schöne Sätze dann geben wie „Solo ist jetzt wieder solo.“ Na ja, ich schweife ab. Schöner Text. Und diese 20’er Jahre-Faszination löst in mir ebenfalls unangenehme Nebengefühle aus.
Danke. Und danke für dein Mitgefühl. Da sind wir ja immerhin schon zwei. Zwei gegen die 20er. Und ja:“Solo Sunny“ klang nach Freiheit. Und der Titelsong ist ein Knaller finde ich. Und Solo als Namen? Gibts doch. Aber nur als Nachnamen. Han Solo.
„So no Solo e so no solo“ wär auch ein guter Song…
Stimmt. Also mit dem Song. Hast du dazu auch eine Melodie im Ohr? Fällt mir schon wieder was ein, es gibt doch diesen Fußball-Funktionär Zwanziger (Nachname, wie er mit Vornamen heißt, weiß ich nicht, Theo?), wenn der seine Tochter oder seinen Sohn Solo nennen würde, Solo Zwanziger, das wäre ein Name. Und die müsste dann nur noch einen Herrn Jahre heiraten (Edwin Jahre?) und den Doppelnamen annehmen. Na, ein wenig albern, aber schön.