Ich war ja neulich mal wieder bei Primark und hab mir den Arm mit Zeugs vollgeladen. Fuhr die Rolltreppe runter auf dem Weg Richtung Kasse und oh, war die Schlange lang und oh, wurde mir gleich schon wieder schlecht und ich stellte mein Handeln in Frage. Aber ich beschwor mich, diesmal hart zu bleiben, weil ich wollte den Kram unbedingt haben, das war guter Stoff und ich blieb hart und stellte mich an und es dauerte auch gar nicht so lange und ich hatte recht damit, denn ich ziehe das Zeug ja seitdem mehr oder weniger täglich an und es sind die Basics meiner Sommergarderobe. Aber beim Warten hatte ich Zeit und ich dachte nach und zwar dachte ich:
Das ist ja wohl eine Unverschämtheit. Jetzt mache ich doch schon, was ich soll, also das wozu ich rund um die Uhr aufgefordert werde, vom Kapitalismus, nämlich Konsumieren. Also, ich kaufe ein, ich konsumiere, ich bin ein guter Bürger, helfe mit, den Laden am Laufen zu halten und jetzt ist das auch schon wieder nicht recht. Also weil ich bei Primark in der Schlange stehe und nicht bei Peek&Cloppenburg, oder Hess Natur. Wie kann das denn sein. Also steckt da vielleicht auch ein System dahinter, dass man wirklich ständig mit sich am Hadern sein SOLL, also im Grunde für immer unzufrieden und in Not und deswegen ständig sich dazu gedrängt fühlen SOLL, weiter zu konsumieren, um diese innere Leere zu füllen und die wird ja quasi ständig erzeugt, wenn man nicht aufpasst und als Großstadtmensch muss man ja ständig aufpassen, um nicht Opfer all dieser Trigger zu werden. Aber das Aufpassen stresst und der Stress muss kompensiert werden und wenn man das macht, ist es auch wieder falsch und deswegen kommt eben neuer Stress. Kauft man teuer und bio, stresst einen der Preis, kauft man billig und unbio, stresst einen das billig und unbio. Also was soll man tun. Gar nichts kann man tun, dachte ich. Einfach ignorieren, es durchziehen und nicht weiter drüber nachdenken, dachte ich und dann war ich dran und zahlte kontaktlos und stopfte meine Beute in den Beutel und ging heim.
Aber was ist das für ein Leben, also eigentlich kann und will ich nicht so leben, dass ich ständig aufpassen muss und mache ich auch gar nicht. Aber wenn ich es nicht tue und ich dann am jammern bin, sagen mir die Leute: “Da hättest du halt besser aufpassen müssen.” Aber wenn ich aufpasse und alles mitkriege und dann auf hundertachtzig gehe, weil ich dann sofort merke, wenn mir was geboten wird und ich mir aber nichts bieten lassen will und ich mich enttäuscht zurückziehe und von da aus angreife, was man eben so macht, wenn man sich seiner Haut erwehren muss. Ja und dann bekommt man gesagt, dass man übertreibt und das man anscheinend Probleme hätte, zu vertrauen. Mr. X sagte, er hätte sich mit seinem Kumpel, der Psychologe ist, über mich unterhalten und dass ich wahrscheinlich eine Borderline- Störung hätte. Also, ich hätte Schwierigkeiten zu vertrauen und das läge wahrscheinlich an zu wenig Vaterliebe in meiner Kindheit.
“Blödsinn”, erwiderte ich, “Wie kommt ihr auf den Mist. Ich hatte ne prima Kindheit und weißt du was? Sie ist noch lange nicht vorbei. Und auch wenn mein Daddy mich nicht geliebt hat, so liebten und lieben mich doch viele Daddys und besser gehts doch gar nicht.”
Aber ja natürlich.
Ich werde “Borderline” bei Gelegenheit mal googeln und ich bin sicher, dass er recht hat, also ich dabei feststellen werde, sämtliche Borderline- Symptome aufzuweisen.
Ich weiß das, denn ich habe ja so ziemlich sämtliche Krankheiten aus dem küchenpsychologischen Ferndiagnose- Spektrum, die ich mal gegoogelt habe:
Von Hypersensibilität, bis Hochbegabung, bis manischer Depressivität, Schlafkrankheit, Narzissmus, Co- Abhängigkeit, Hysterie, Zwangsneurosen, ADHS, Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung, Soziophobie, Normopathie, Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex.
Normal. Das ist die Dynamik des Kapitalismus. Teile und herrsche. Stress erzeugen, Kauftrieb anstacheln, also Menschen in Gruppen aufspalten und gegeneinander aufhetzen, oder die Diskriminierten, Marginalisierten dazu bringen, sich selbst zu diskriminieren und zu marginalisieren, also sich zu labeln. Also sich selbst zur Marke zu machen, also zum Produkt.
Also, wenn man mit den Aggressionen auf die anderen durch ist, kann man sich den Selbstaggressionen hingeben, also zwischen Scham- und Schuldgefühlen hin und her swingen, bis man nicht mehr kann und dringend was konsumieren muss und q.e.d.
Also letztendlich verwandeln sich Gruppen in Zielgruppen, das heißt zu dankbaren Konsumenten maßgeschneiderter Produkte.
Entweder online, oder man trifft sich eben in den letzten großen Schmelztiegeln der Moderne- bei Primark oder in der Deutschen Bahn- das ist dann die letzte Agora sozusagen.
Denn im Grunde laufen ja Fremdenfeindlichkeit und Identitätspolitik auf dasselbe hinaus, nämlich auf Spaltung, also auf das Ghetto, oder die Bubble.
Weil ich so gerne am quasseln bin, wiederhole ich das soeben Gesagte nochmal mit anderen oder sogar denselben Worten:
Wenn man die Menschen von außen, also in Gruppen gespalten hat:
Schwarz gegen weiß, Mann gegen Frau, alt gegen jung, dick gegen dünn, arm gegen reich usw, usf.
Dann spaltet man die Menschen noch von innen auf, um den Stress am Kochen zu halten- also schrottet die Psyche- den Seelenfrieden, bringt man die Leute dazu, nicht nur die anderen, sondern auch noch sich selbst als Problem zu betrachten.
Wenn ich „man“ sage, meine ich aber nicht irgendwelche Gruppen oder Einzelpersonen oder den Teufel, sondern die Dynamik.
Also, die Dynamik spaltet die Leute auf, oder der Markt, es gibt keinen Masterplan, es ist halt einfach so.
Es gibt keinen Ausweg.
Außer vielleicht den, sich das bewusst zu machen, mit dem Ziel weniger getriggert und aufgestachelt zu werden.
Oder den, nicht noch Probleme damit zu haben, das man Probleme hat. Wenn ich schon saufe, shoppe, mich sinnlos über irgendwas aufrege, um zu kompensieren, dann sollte ich es dabei belassen und es durchziehen und mich nicht noch darüber ärgern, dass ich saufe, shoppe, mich sinnlos echauffiere.
Es gibt keinen Ausweg.
Also was soll man machen. Ich weiß ja, was mir helfen würde: Heiraten und aufs Land ziehen natürlich. Aber wen und wohin.
Es gibt keinen Ausweg.
Weswegen ich in diesem ganzen alltäglichen Wahnsinn versuchen muss, klarzukommen, auch wenn das, egal ob man es nüchtern oder total berauscht betrachtet, absolut unmöglich ist, denn es gibt kein richtiges Leben im Falschen.
Also, wenn ich es besorgt bekommen will und ich dem Druck nicht mehr standhalten kann, weil ich mich sonst einfach nur alt und staubig fühle, wenn ich mich nicht regelmäßig oder wenigstens ab und zu von einem feuchten Lappen auswischen lasse und danach ist der Jammer eben groß, weil sich danach jedesmal herausstellt, dass ich mich von einem feuchten Lappen habe auswischen lassen und nicht von einem hochwertigen Feudel.
Weswegen ich weiter kämpfe und den Kopf oben halte und es gibt ja auch Gegenbeispiele und geschehen Wunder.
Als ich neulich zum Beispiel mal den ganzen Tag Bahn fahren musste, mit dreimal umsteigen und dabei, es ist wichtig das dazu zu sagen – schlecht aussah, wie lange nicht mehr – unter einem Auge eine Entzündung vom Heulen, strähniges Haar, ein feuerroter Mückenstich auf der Kehle, die Lippen verkrustet von einer Herpesinfektion, also ich sah nicht nur schlecht aus, sondern abstoßend, würde ich sagen. So abstoßend, dass ich mir keine Mühe gegeben hatte, da irgendwas zu überschminken, hätte eh nichts gebracht.
Also ich sah abstoßend aus und war traurig und ich musste so den ganzen Tag unterwegs sein. Und was soll ich sagen: Es war ein schön. Alle waren lieb zu mir. einfache zwischenmenschliche Freundlichkeit. Gespräche beim Warten vor dem Zugklo, nettes Gequatsche beim Kaffeekaufen, nettes Gezwinker mit dem Verkäufer beim Provianterwerb in der Bahnhofsbude, nette Sitznachbarn, nette Leute hinter mir, nette Leute vor mir. Den ganzen Tag lang -alle megasweet, alle mit sich und mir im Einklang, alles entspannt, kein Grund aufzupassen und trotzdem kein Vertrauensbruch etc.
Ich kannte das. Ist mir schon oft passiert. Normal. Wem nicht.
Ich nenne es die Zärtlichkeit der Welt. Auf die kann man sich tatsächlich manchmal verlassen.
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