Die Details lasse ich weg und komme direkt zum Wesentlichen:
Es war schon weit nach Mitternacht, wenn nicht gar schon früh am Morgen, nur noch wenige Gäste waren auf der Party. Ich war müde und ich setzte mich. Links von mir saß sie und er saß plötzlich rechts von mir, war wohl kurz weg gewesen und jetzt wieder zurück.
Jedenfalls hatte ich mich da in was reingedrängt, war in ein Gespräch geraten, denn die beiden beugten sich um mich herum zueinander und steckten die Köpfe zusammen und schauten sich an und sie heftete ihre Augen eindringlich in seine und sagte in ebenso eindringlichen Tonfall:
Aber weißt Du, es gibt so viele Dinge im Universum, die wir nicht verstehen. Sogar Dinge, die wir gar nicht sehen, geschweige denn wahrnehmen können. Es gibt so vieles, was wir uns nicht erklären können und so vieles, von dem wir noch nicht einmal wissen, dass wir es uns nicht erklären können. So vieles, das wir nicht wissen und so vieles, von dem wir wissen, dass wir es nicht wissen und so vieles, von dem wir noch nicht mal wissen, dass wir es nicht wissen. Verstehst du?
Was hatte ich verpasst? Wovon sprach sie? Was meinte sie? Ich war gespannt. Hoffentlich hatte ich nicht schon das Wichtigste verpasst. Ich liebe solche Geschichten. War ihr ein Wunder widerfahren? Hatten Aliens mit ihr Kontakt aufgenommen? Hatte sie eine Nahtoderfahrung gemacht? Unerklärliche Koinzidenzen erlebt? Waren ihr Geister oder Gespenster begegnet? Empfing sie Signale aus dem Jenseits? Konnte sie Auren erspüren? War sie mit Kobolden, Elfen oder Zwergen zusammengetroffen? Hatte sie Visionen? Oder gar Wunderheilungen erlebt? Luzide Träume? Astralreisen? Heilende Frequenzen, der dritte Ring der Kraft, Traumfänger, Taroskop, Human Design Scheme, Breathwork, Pranayama, Vagusnerv, Binaural Noises, Bachblüten?
- Weisst du, auch wenn es so scheint, als sei inzwischen alles wissenschaftlich aufgeklärt oder aufklärbar- die Wissenschaft ist ja auch nur das, was wir Menschen uns ausgedacht haben und vielleicht gibt es Dinge, die wir mit unserer menschlichen Wissenschaft überhaupt nicht erfassen können, weil sie so unermesslich groß, oder unermesslich klein, oder einfach was ganz Anderes sind, was wir uns gar nicht vorstellen können…
fuhr sie fort. Und während sie noch sprach, begriff ich, dass ich umsonst gehofft hatte. Selbst wenn sie noch mehrere Stunden reden sollte, würde da niemals was konkret Inhaltliches kommen würde, nur Teilchen und Sternenstaub und unermessliche Weiten und ab und und zu ein schwarzes Loch. Aber worum ging es hier? Wenn nicht um Wunder, dann um Wissenschaft? Was würde er ihr antworten? Was kann man denn auf sowas antworten? Würde er ihr widersprechen? Die Wissenschaft verteidigen? Wohl kaum, sagte ich mir noch im gleichen Moment. Also, ich sagte es mir nicht wirklich. Meine Gedankengänge spielten sich ja in Nanosekunden ab, mein Gehirn analysierte Inhalt und Zweck dieses Gespräches ja in Echtzeit. Daher dachte ich nicht in Worten, so viel Zeit hatte ich gar nicht, ich dachte in Impulsen, dachte wortlose Gedanken, Informationen wurden zu Interpretationen, diese wieder aufs Neue überschrieben, Cluster entstanden, Blockchains bildeten sich, schlossen und öffneten Schaltkreise, feuerten in hektischer Taktung in endlosem Strom Neuronen durch sämtliche Synapsen. Oder was auch immer bei so einem Vorgang im Gehirn passiert. Ich werde das jetzt nicht extra googeln, jedenfalls wurde mir in Lichtgeschwindigkeit klar, dass es bei diesem Gespräch nicht wirklich um das Ausloten der Metaphysik ging, sondern es ging um… also…, ich wage kaum das Wort hier hin zu schreiben…
Also, es ging um… also es ging um Sex.
Es war glasklar:
Er wollte sie abschleppen, sie wollte ihn mit nach Hause nehmen und die beiden versuchten einander gerade von dieser Idee zu überzeugen.
Das heißt, sie befanden sich gerade in dieser Phase, wo man selbst schon genau weiß, was man will, aber noch nicht weiß, ob der andere das auch will, bzw man den anderen dazu bringen will, das auch zu wollen.
Das heißt, ich wusste mehr als die, in diesem Moment.
Nachdem ich begriffen hatte, wollte ich weg. Aber ich konnte jetzt nicht sofort aufspringen, das hätte seltsam gewirkt, weil ich mich doch gerade hingesetzt hatte.
Sie war immer noch am Reden. Ihre Stimme wurde noch eindringlicher, ihr Tonfall noch leidenschaftlicher, ihre Augen tasteten unruhig in seinem Gesicht herum. Sie wirkte fiebrig, aufgeladen, leicht hysterisch. Hatten sich nicht sogar ein paar dunkle Flechten aus ihrem hochgesteckten Haar gelöst und fielen ihr malerisch in die Stirn?
-Das Universum ist so groß, so voller Geheimnisse. Ich versuche einfach immer, offen zu sein, also auch mehr und anderes für möglich zu halten, als einzig und allein wissenschaftliche Erklärungen. Ich will ja nur, dass wir uns das bewusst machen und immer in Erwägung ziehen, dass es immer auch alles ganz anders sein kann!
Sie musterte ihn mit dem bereits bekannten fahrigen Blick.
Seine Augen blickten wach und aufmerksam. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Seine Antwort kam prompt.
-Aber ick bin Rationalist. War ick schon immer. Ich glaube, dass Jesus eine historische Figur ist, aber ick glaube nich an Gott.
Sie nickte heftig.
Ich bin genau wie du,- christlich aufgewachsen, jeden Sonntag in die Kirche.
Aber schon mit neun hab ich gedacht: Ja, die Bibelgeschichten sind irgendwann genau so passiert. Aber ich glaube nicht an Gott. Mit neun Jahren! Von ganz allein sowas gedacht! Das muss man sich mal vorstellen.
Aber trotzdem glaube ich. Ich glaube, dass man zusätzlich zu den Fakten, auch noch andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen sollte. Es gibt so viele Dinge, zwischen Himmel und Erde, die wir Menschen uns nicht erklären können. Ich will doch einfach nur, dass wir die Möglichkeiten in Betracht ziehen, dass wir nicht an bestimmten Punkten einfach aufhören zu denken, sondern immer versuchen, uns bewusst zu machen, dass alles auch ganz anders sein könnte, als wir es uns vorstellen…
Sie hatte doch wirklich alles aus sich herausgeholt.
– Auf jeden Fall. Jesus gabs wirklich. Aber Gott jibts nicht.
Und er: Konstant genial pariert bis zum Schluss. Warum gingen sie nicht einfach los und taten es? Warum hatten sie das nicht schon längst getan.
Sie hatten sich ihren Sex redlich verdient.
Sie blieben sitzen.
Ich erhob mich.
Die beiden sahen zu mir hoch.
Wie, du gehst? Was denkst du denn darüber? Willst du dich denn nicht an unserem Gespräch beteiligen?
Mehr war nicht. Das ist alles. Das ist die Geschichte.
4 Kommentare
KommentierenSie wollten dich dabei haben. Sex zu zweit war ihnen (womöglich) zu langweilig. Deswegen war er kurz mal „weg“ gewesen und sie hatte den Platz rechts neben sich geblockt, für dich. Das ganze „Gespräch“ zielte nur darauf ab, dich zu überzeugen. Ging anscheinend nicht auf, ihr Plan.
Krass. Ja! Du hast recht. Jetzt wird mir alles klar. Es gibt ein paar Details die ich ausgelassen habe, die eindeutig darauf hinweisen, dass die mich dabei haben wollten.
… way too much druffes Stardust-Gesabber um eine ménage à trois anzuleiern, weniger ist oft mehr. Gehen war imo eine gute Entscheidung, vielleicht gibt es Gott ja doch …
Hundert Prozent Zustimmung.