Der Lebensstil von uns Künstlern

Wir stehen um acht auf. Duschen mit Kaffee. Gegen elf gehen wir wieder zu Bett. Schlafen bis 16 Uhr 30. Danach tätigen wir Einkäufe, mit zerrüttetem Haar und dem Kissenabdruck im Gesicht. Später eventuell Schönheitspflege. Halbe Stunde Haare kämmen, alle zwei Wochen. Dann Arbeitsplatz. Wir versuchen, Texte zu verfassen. Wir scheitern nicht. Abends: Öffentlicher Auftritt. […]

Wir stehen um acht auf. Duschen mit Kaffee. Gegen elf gehen wir wieder zu Bett. Schlafen bis 16 Uhr 30.

Danach tätigen wir Einkäufe, mit zerrüttetem Haar und dem Kissenabdruck im Gesicht.

Später eventuell Schönheitspflege. Halbe Stunde Haare kämmen, alle zwei Wochen. Dann Arbeitsplatz.

Wir versuchen, Texte zu verfassen. Wir scheitern nicht.

Abends: Öffentlicher Auftritt. Schon wieder Haare kämmen.

Wir sind spät dran, deswegen Hinfahrt im Taxi.

Taxifahren wäre so glamourös, wenn nur die Taxifahrer nicht wären. Taxifahrer sollten Livree und weiße Handschuhe tragen. Uns beim Ein- und Aussteigen die Tür öffnen. Es sollte eine Glasscheibe zwischen Fond und vorderem Taxifahrerbereich geben, wie früher. Außerdem sollten die Taxifahrer immer den direkten Weg fahren und nicht an roten Ampeln halten. Das Taxi sollte schweben. Und zwar schnell.

Der Öffentliche Auftritt läuft wie immer: Mit wachsendem Erfolg.

Wir Künstler wollen Kokain, aber niemand bietet uns welches an. Wir fahren mit der Straßenbahn nach Hause.

Die Straßenbahn fährt direkt, sie wird gut gesteuert, von einem sensiblen Fahrer. Langsames An und Abfahren, kein ruckartiges Bremsen. Die Straßenbahn schwebt schnell. Die Fahrgäste reisen allein und schweigen. Alle sollten immer allein reisen und schweigen. Der Fahrer ist unsichtbar hinter blickdichtem Glas. Man muss auch nicht mit ihm in Kontakt treten, um zu bezahlen, man muss nur den Fahrschein in den Entwerter schieben. Wie elegant, fein und glamourös das ist.

An der Fahrertür klebt ein Schild: Zugelassen für 131 Stehplätze und 52 Sitzplätze. Begeisterung. Genau. Wenn jeder sich daran hält, können wir friedlich zusammenleben.

Sofort die Vorstellung von Flüchtlingen, die das Schild ignorieren, sich zu dritt auf Sitzplätze quetschen und sich dicht an dicht aneinanderdrängen. Sogar aufs Dach klettern sie. Alle wollen mit. Nein, so geht das nicht. Zugelassen für 131 Stehplätze und 52 Sitzplätze! Bitte übersetzen Sie dieses Schild auf Farsi, Urdu und albanisch.

Wir Künstler steigen eine Station früher aus, weil wir Künstler noch einen kleinen Nachtspaziergang machen wollen. Ruhige, leere und saubere Straßen. Keine qualmenden Gullideckel wie im New York der 70er. Erinnerung an French Connection. Dieser Film hat Oscars bekommen, ist denn das zu fassen? Damals gab es Oscars noch für Verfolgungsjagden, oder übermotivierte Drogenpolizisten.

Wir Künstler gehen die Straße entlang, die glitzert, weil es geregnet hat, oder sogar regnet und finden heraus, dass dieser Zustand ideal ist. Ruhige, saubere, stille nächtliche Straßen. Wir können an nichts anderes mehr denken, als an Ruhe, Ordnung, Sauberkeit, Stille, Nacht und schnelles Schweben.

Wir Künstler vertragen keinen Stress und öffnen den Briefkasten daher nur alle 14 Tage mittwochs. Niemals am Freitag oder Samstag. Wir wollen uns von unerwünschter Post nicht das Wochenende verderben lassen. Mittwochs haben wir uns an die Woche gewöhnt, das Stresslevel ist weit genug hochgefahren, todesmutig öffnen wir den Briefkasten, weil jetzt ja auch schon alles egal ist. Wir finden Briefe und können am Donnerstag reagieren, Widersprüche schreiben, den Anwalt anrufen, Hotlines, Kundendienste, Versicherungen.

Donnerstag abend ist dann alles Weltliche auf später verschoben und wir können weiter schweben.

Hinter blickdichtem Glas bremsen wir langsam ab.

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